Steffi Holz: Alltägliche Ungewissheit
Überwachen und Strafen im Abschiebeknast
"Abschiebehaft ist eine existenzbedrohende Situation, die gekennzeichnet ist durch das Erleben einer totalen Institution, in der Selbstbestimmung, Autonomie und Handlungsfreiheit der Inhaftierten eingeschränkt und entwertet werden." So lautet das Resümee der Ethnologin Steffi Holz in ihrer Studie Alltägliche Ungewissheit über die individuellen Erfahrungen von Frauen in Abschiebehaft. Vier Jahre lang recherchierte die Autorin im Berliner Abschiebegefängnis Köpenick und führte Interviews mit Frauen nach ihrer Haftentlassung. Zusammen mit den detaillierten Beschreibungen des Haftalltages vermitteln vor allem die Auszüge aus den Gesprächen einen Einblick in die bedrückende Situation in 'Abschiebegewahrsam': "Wenn du erst mal in diesem Knast gelandet bist, das ist wie eine Art Falle, wie so eine Art verschüttet sein."
Der Haftalltag folgt einem vorgegebenen Zeitplan und bietet kaum Möglichkeiten für Abwechslung. Der Willkür von MitarbeiterInnen ausgeliefert, müssen die Frauen selbst bei der Bitte um Dinge wie Hygieneartikel und Medikamente Demütigungen erfahren. Als fast existentielle Bedrohung wird von den meisten das intransparente Vorgehen der Ausländerbehörde wahrgenommen, deren einziges Ziel die schnellstmögliche Abschiebung zu sein scheint. Auch bei Anhörungen vor Gericht empfinden die Frauen nicht nur auf Grund sprachlicher Verständigungsschwierigkeiten Hilflosigkeit. Selten werden ihnen juristische Abläufe erklärt, man hört ihren Anliegen nicht zu oder schenkt ihnen keinen Glauben.
Dank ihrer einfühlsamen Recherche kann Holz jedoch auch zeigen, dass sich die Frauen keineswegs nur als passive Opfer sehen. Trotz aller Reglementierungen versuchen sie ihre Zeit in der Haft so selbstbestimmt wie möglich zu gestalten. So stellt beispielsweise das gemeinsame Kochen außerhalb der geregelten Essensausgabe einen kleinen Ausbruch aus den Normierungen dar. Die Solidarität und Freundschaft untereinander kompensieren das bürokratische und anonyme Vorgehen der Ausländerbehörde. Die Autorin unterstreicht auch die Bedeutung von Gruppen wie der Initiative gegen Abschiebehaft oder dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein. Diese "ExpertInnen" von außen tragen wesentlich dazu bei, das Gefühl von Hilflosigkeit zu mindern, etwa indem Briefe übersetzt und Rechtsvorgänge erläutert werden.
Bei der Porträtierung ihrer Gesprächspartnerinnen beschreibt Holz auch Äußerlichkeiten und versucht, Gestik und Mimik zu deuten: "Mala ist sehr klein und zierlich und strahlt eine stille Unsicherheit aus." Vielleicht wären an dieser Stelle die Beweggründe der Frauen für ihre Flucht aus dem Herkunftsland - von Holz bewusst ausgeblendet - aufschlussreicher gewesen. So kann es für die Erfahrung angedrohter Abschiebung sehr wohl einen Unterschied machen, in welches soziale und politische Umfeld die Frauen nach ihrer Rückkehr gelangen. Wer von ihnen das Glück hat, entlassen zu werden, steht häufig ohne Geld oder weitere Beratung auf der Straße. Während in der Haft versucht wurde, jegliche Form eigenmächtigen Handelns durch penible Kontrolle zu unterbinden, muss das Leben in Freiheit erst wieder erlernt werden.
Katrin Dietrich