Alan Beukers: Der Reiz des Exotischen
Rezension: Reizende Exotik
Ob Bantu-Zauberer in Südafrika, Mongletta-Tänzer im Kongo, algerische Häuptlinge, Somalierinnen aus Dschibuti, Frauen in Vietnam, nepalesische Mädchen, GuatemaltekInnen, Aborigines oder SamoanerInnen - sie alle posierten in den Jahren um 1900 vor den Kameras des "weißen Mannes". Für seinesgleichen waren die auf Bildpostkarten millionenfach in Umlauf gebrachten Fotografien aus allen Kontinenten auch gedacht. Der Bildband Der Reiz des Exotischen präsentiert über 220 Beispiele dieser visuellen Massenkultur. Wie die populäre Reiseliteratur jener Zeit in Wort und Bild die Sehnsucht der Epoche nach dem Entlegenen und Exotischen befriedigte, so holten die Bildpostkarten mit ihren Serien über "exotische" Länder und Kolonien die für die meisten Menschen unerreichbare "weite Welt" heim in die gute Stube.
Die in diesem Buch versammelten Postkarten sind bildhistorisch bedeutsam, und es ist verdienstvoll, sie einem breiten Lesepublikum zugänglich zu machen. Doch scheitern die AutorInnen daran, diesem Bildmaterial auch nur annährend gerecht zu werden. Zwar wird in dem kurzen, im Plauderton gehaltenen Einführungstext darauf verwiesen, dass solche Postkarten vor allem etwas über die Menschen aussagen, die solche Bilder brauchen. Es fehlt auch nicht der Hinweis darauf, dass es sich bei den exotistischen Vorstellungen um Projektionen des Westens handelt. Den LeserInnen und BetrachterInnen wird aber nicht vermittelt, wie sie diesen Inszenierungen des Fremden begegnen könnten.
Ganz im Gegenteil, der Reiz des Exotischen, so heißt es salopp, könne "nicht als Erfindung" abgetan werden. Und so kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, hier soll noch einmal so richtig Appetit auf das Exotische gemacht werden. Die in den Anhang des Buches verbannten Bildlegenden geben jedenfalls nur spärlichste Informationen darüber, wer oder was auf den Postkarten zu sehen ist. Die Bilder erschließen sich so allenfalls ethnologisch-historisch geschulten BetrachterInnen.
Das Exotische wird hier einmal mehr als Faszinosum vermarktet, eine kritische Annäherung und Dekonstruktion unterbleibt. Die europäische Kolonialherrschaft, das scheint sich immer noch nicht herumgesprochen zu haben, ging eben nicht nur mit der wirtschaftlichen Ausbeutung der Menschen und der natürlichen Ressourcen in den Überseegebieten einher, sie lief auch auf eine visuelle Ausbeutung der "Anderen" hinaus. Das Problem liegt also nicht darin, solche Bilddokumente zu zeigen, sondern darin, wie man heute - im postkolonialen Zeitalter - mit ihnen umgeht. Damit soll nicht einer sterilen politischen Korrektheit das Wort geredet werden. Aber so wie der heutige Ethnotourismus die "letzten Naturvölker" der Erde ins Visier nimmt, so liefert der Bildband eine Völkerschau im Buchformat. In den Sessel gelehnt, das Buch durchblätternd, dürfen sich die BetrachterInnen angesichts der vielen ExotInnen, Nackten und Wilden ganz ungestört als "Entdecker" fühlen. Der koloniale Blick feiert fröhliche Urstände.
Joachim Zeller