Direkt zum Inhalt | Direkt zur Navigation

Benutzerspezifische Werkzeuge
Kontakt Spenden Abo Newsletter
Sie sind hier: Startseite Multimedia DVDs Livingstones Erben Ein globales Dorf inmitten der "Wildnis"

Ein globales Dorf inmitten der "Wildnis"

 

Heute hier, morgen fort

Als kleiner Junge rannte Vincent den Trucks hinterher, die hier auf der Rückkehr von ihrer Sambesi-Tagestour vorbeifuhren. Als junger Mann trug er dann tageweise die Boote der ausländischen Veranstalter aus der steilen Schlucht hinaus, für damals fünf Kwacha (2005: 5500 Kwacha sind ein Euro) pro Boot. Als sich über die Jahre eine Vertrauensbasis zwischen ihm und seinem Chef bildete, bot der ihm eine Ausbildung als Raftguide an - ein Job, der bis dahin den weißen Immigranten aus Europa und Südafrika vorbehalten war. Trainingscamps in den USA, Australien und Costa Rica waren die ersten Auslandserfahrungen, dann wurde Vincent der - wie es heißt - erste schwarze Raftguide auf dem Zambesi. Inzwischen hat er in Österreich für das deutsche Unternehmen Lemming Tours die Alpenflüsse befahren.

 

Ein globales Dorf inmitten der "Wildnis"

Seit Vincents Kindheit hat sich das Aussehen des Dorfes mit seinen Lehmhütten kaum verändert. Wenn der Truck mit den Abenteuerreisenden nachmittags mitten durchs Dorf fährt, machen die TouristInnen von ihren Hochsitzen aus Fotos von den zuschauenden Kindern, von Lehmhütten und von bunt gekleideten Frauen, die mit Brennholzstapeln auf dem Kopf zwischen den Baobabbäumen auftauchen. Dabei sehen und ahnen die TouristInnen nichts von dem globalen Beziehungsgeflecht, in das viele der hier lebenden Familien verwoben sind - in materieller, sozialer und kultureller Hinsicht. Vincents Geschichte zeigt, dass komplexe Lebensrealitäten und kulturelle Mehrfachzugehörigkeiten mit Sicherheit nicht diejenigen Konstellation sind, die von den TouristInnen wahrgenommen werden, wenn es um die lokalen DienstleisterInnen im Tourismus geht.

Das Erbe, das der Missionar und Entdecker der spektakulären Wasserfälle, David Livingstone, hinterlässt, ist der koloniale Abenteurer- und Entdeckermythos, dessen touristische Vermarktung mit dem auffordernden Slogan „follow Livingstone’s Erben“ heutzutage hochaktuell ist. Er macht deutlich, wie eng die Versprechungen bzw. Hoffnung auf Arbeitsplätze, unternehmerisches Profitdenken und Naturschutzbelange um die Vorstellung von lokal verorteten Strukturen kreisen, obwohl der Tourismus längst ein transnationalen verflochtenes Milieu in jeder Hinsicht ist.

 

Verortete Vorstellungen

Gerne folgt der touristische Abenteuerblick den Sehgewohnheiten der vorkolonialen Entdeckungsreisenden: die Romantisierung und symbolische Aneignung von vermeintlich unberührter Natur über das Abenteuer Rafting und der vermeintlich geschichtslosen Kultur über das Fotografieren der Dörfer in einer als The Real Africa gekennzeichneten Landschaft hat koloniale Züge. Jean Mweene, die Koordinatorin eines NGO-Verbandes für Genderprojekte in Livingstone, meint: "Die TouristInnen wollen nicht mit denjenigen sprechen, die eine gute Ausbildung haben, sie wollen nicht herausfinden, was hier wirklich vorgeht. Den TouristInnen werden Videos über das Dorfleben mit dickbäuchigen Kindern und unter miserablen Lebensbedingungen vorgeführt, sie machen sich dann entsprechend ihr Bild vom tatsächlichen Afrika […]. Wenn sie dann hier sind, wollen sie den Unterschied nicht wahrnehmen, sie wollen das sehen, was ihnen vorher erzählt wurde."

Der Film Livingstones Erben wurde mit dem expliziten Anliegen gedreht, diese historisch bedingte und ständig reproduzierte Beziehung zwischen den Reisenden, die das koloniale Abenteuer suchen, und den Trägern und Raftguides, die ihnen eben dieses Abenteuergefühl ermöglichen, sichtbar zu machen und Fragen aufzuwerfen. Der Film lässt dafür die lokalen Beschäftigten zu Wort kommen und gibt Einblicke in ihr teilweise migrantisches Leben sowie ihre Perspektiven auf den Tourismus an den Viktoria Fällen. Insofern können zwei Gruppen als "Livingstones Erben" bezeichnet werden: TouristInnen und Tourismusbeschäftigte. Beide sind auf unterschiedliche Art und Weise an der imaginären Konstruktion des Entdecker- und Abenteuermythos beteiligt.

 

Mobile Exoten

Gewöhnlich ist der touristische Blick blind für die identitätswandelnde und -stiftende Bedeutung, die sich für die DorfbewohnerInnen mit den Beschäftigungsmöglichkeiten im Abenteuertourismus ergeben. Auch die sozialen Prozesse durch die tägliche Konfrontation mit einem massiven (infra-)strukturellen Wandel der Region infolge der Tourismusentwicklung (wie Landverlust, Preissteigerung bei Lebensmitteln und Transport, Aids, Sextourismus, Privatisierung von Land) nehmen die Abenteuerreisenden oft nicht wahr.

Der Verlust staatlicher Kontrolle über Investitionen und niedrige Löhne sorgt für neue Verteilungs- und Interessenkämpfe. Diese Verteilungskämpfe entgehen den meisten TouristInnen, sie genießen vielmehr die Vorteile, die Ihnen die Gewinner bieten - und manchmal eben auch die Verlierer, wenn dies in ihrer in Lehmhütten konservierten Perspektivlosikeit das erwartete Bild authentischer Wilder bedienen.

Erst individuelle Lebensgeschichten wie die von Vincent zeigen, wie sehr die BewohnerInnen in die materiellen, kulturellen und symbolischen Prozesse der Globalisierung selbst involviert sind. Und nicht alle Beispiele sehen so glücklich aus. Es sind nur wenige, die sich über den Tourismus auf Dauer sozial und ökonomisch emanzipieren können.
Die sehr unterschiedlichen materiellen Möglichkeiten oder Chancen von TouristInnen und Einheimischen und die daran geknüpfte westliche Vorstellung von kosmopolitischen, moblilen Reisenden und verorteten lokalen Gesellschaften werden von der Realität jedenfalls immer neu gebrochen. Es wird beispielsweise übersehen, dass die Einheimischen oft mehrere Sprachen beherrschen und über die Herkunftsländer ihrer KundInnen besser Bescheid wissen. Viele haben ein sehr differenziertes Bild über Europa - und auch über die TouristInnen, mit denen sie zu tun haben. Auf keinen Fall sind sie die verorteten Exoten, wie es die Fotos der TouristInnen und die Werbung der Tourismusindustrie, in Verbindung mit dem touristischen Nicht-Wissen der BetrachterInnen, gerne vermitteln.

Martina Backes (gekürzt)

 

Produktion

FernWeh - Tourism Review, 2007
informationszentrum 3. welt (iz3w)
Aktion Dritte Welt e.V. (Freiburg)

DVD
für 15€ erhätlich im iz3w-Shop oder per E-Mail an info(ät)iz3w.org

Livingstones Erben
Cover Vergrößern