Thomas Schmidinger / Dunja Larise (Hg.): Zwischen Gottesstaat und Demokratie
Gegen den Pauschalverdacht
Mit Zwischen Gottesstaat und Demokratie ist ein Handbuch des politischen Islam gelungen, das gegen die homogenisierende Darstellung des Islam angeht, Klischees entkräftet und die vielen Gesichter des politischen Islam differenziert und kritisch zu zeigen vermag. Herausgegeben wurde es mit Hilfe zahlreicher StudentInnen von den Wiener WissenschaftlerInnen Thomas Schmidinger und Dunja Larise. Sie alle haben offensichtlich akribisch recherchiert.
Begrifflichkeiten wie Säkularismus, Staatlichkeit, Integralismus und Fundamentalismus werden geschichtlich hergeleitet. Gerade die beim letzten Begriff zitierte Definition des Duden von 1982 (»streng bibelgläubige theologische Richtung im Protestantismus in den USA, die sich gegen Bibelkritik und moderne Naturwissenschaft wendet«) erscheint dabei wie ein Fingerzeig. Herausgearbeitet wird, dass Fundamentalismen nicht zwangsläufig zum Islam gehören. Sie existieren in vielen religiösen Richtungen, korrelieren nicht automatisch mit Gewalt und äußern sich weder zwangsläufig in politischen Programmen noch hebeln sie zwangsweise einen säkularen Staatsapparat aus. Diese Schlussfolgerungen werden gemeinhin zu leichtfertig gezogen. Das AutorInnenteam definiert fundamentalistische Gruppierungen im Islam als Gruppen, die sich an einer besonders rückwärts gewandten wörtlichen Auslegung des Korans orientieren, ohne aber politisch aktiv sein zu müssen.
Gekonnt dargestellt werden mehr oder weniger stark organisierte Gruppierungen in Deutschland und Österreich, die jeweils eine Richtung des politischen Islam vertreten. Ihre historischen und ideologischen Wurzeln werden aufgezeigt, Verbindungen der Gruppierungen untereinander nachvollzogen, Inhalte der Bewegungen kritisch diskutiert und offen gelegt. So erhalten die LeserInnen Einblick in die heterogene islami(sti)sche Szene. Deutlich wird, dass die zunehmende Ideologisierung des Islam und die »Islamisierung des Islam« eine Tendenz ist, die zuallererst Muslime trifft und ein Problem in deren Alltag darstellt. Durch einige wenige Extremisten sehen sich viele gemäßigte Gläubige, die sich oftmals kritisch mit der Politisierung des Islams auseinandersetzen, in eine Verteidigungsposition gedrängt, obwohl sie mit politischen Bestrebungen ihrer Glaubensbrüder nichts zu tun haben. Sie müssen sich innerhalb der muslimischen Gemeinde positionieren, gleichzeitig stehen sie oftmals unbegründet unter dem Pauschalverdacht der Mehrheitsgesellschaft. Dies geschieht auch, weil fundierte Informationen über die muslimischen Gesellschaften viel zu dünn gesät sind.
Die Hintergrundinformationen des Handbuches reichen weit über »den Islam« in Deutschland und Österreich hinaus. Es ist keine leichte Kost, der Erkenntnisgewinn aber enorm.
Tanja Kurreck