Editorial zum Themenschwerpunkt
Vor 30 Jahren fand eine Revolution weltweit Beachtung, die zu einem tief greifenden Umsturz der Verhältnisse im Iran führte. Eine Massenbewegung beendete im Winter 1978/79 die autoritäre, prowestliche Herrschaft des verhassten Schahs. Schon bald übernahmen radikale schiitische Islamisten unter der Führung des Geistlichen Ruhollah Khomeini die Staatsmacht. Als er am 1. Februar 1979 aus seinem Pariser Exil in Teheran ankam, säumten Millionen Jubelnde seinen Weg ins Stadtzentrum.
Viele linke Intellektuelle und AktivistInnen im Iran, aber auch im Ausland, begrüßten die Islamische Revolution. Doch schon bald stellte sich Ernüchterung, wenig später auch blankes Entsetzen ein. Denn Khomeini und seine fanatischen Anhänger errichteten eine Islamische Republik, der innerhalb weniger Jahre 80.000 Oppositionelle zum Opfer fielen. Bis heute üben die Mullahs, unterstützt von Revolutionsgarden, Milizen und TugendwächterInnen, eine Schreckensherrschaft aus, die in sämtliche Lebensbereiche hineinreicht. Die Menschenrechtslage ist verheerend, selbst Jugendliche werden hingerichtet, Steinigungen sind verbreitet. Millionen IranerInnen ziehen es vor, im Exil zu leben.
Im Iran herrscht indes kein Mittelalter wie im Afghanistan der Taliban. Die Situation ist in vielerlei Hinsicht paradox. So bedient sich das Regime beispielsweise modernster Technologie, um seine rückwärts gewandten Moralvorstellungen unter die Bevölkerung zu bringen. In den
U-Bahn-Stationen Teherans werden mit Bluetooth-Technik islamisch-revolutionäre Botschaften an die Fahrgäste gesandt. Die Wirtschaft ist leistungsfähig, es werden eine Million Autos pro Jahr hergestellt und Satelliten ins All geschossen. Zugleich herrscht in weiten Landesteilen Armut wie in einem Least Developed Country. Ein weiteres Paradoxon: Frauen sind in der Islamischen Republik politisch und rechtlich massiv benachteiligt, aber an den Universitäten studieren mehr Frauen als Männer.
Zwei Drittel der IranerInnen sind jünger als 30 Jahre, sie haben nie ein anderes Gesellschaftsmodell als das der Islamisten kennen gelernt. Trotzdem (oder gerade deswegen) hält sich der Rückhalt des Regimes bei weiten Teilen der Bevölkerung in deutlich sichtbaren Grenzen. Präsident Ahmedinedschad gilt nicht nur im Westen als Bösewicht, er ist auch im eigenen Land nicht beliebt. In Teheran oder Shiraz nennen ihn die Leute »Äffchen«, weil er einer entsprechenden Werbefigur für eine beliebte Chipsmarke ähnelt. Man kann es durchaus als Zeichen der innenpolitischen Schwäche werten, wenn das Regime außenpolitisch Hass gegen Israel und die USA schürt. Die vom Iran unterstützten Stellvertreterkriege von Hisbollah und Hamas und die antiimperialistische Rhetorik sollen gesellschaftlichen Zusammenhalt schmieden. Das gelingt allerdings nur bedingt.
Trotz des verbreiteten Unmuts gibt es im Iran keine starke organisierte Oppositionskraft. Wie auch? Oppositionelle Parteien haben im politisch-religiösen System der Mullah-Republik keine Chance. Zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse können nur unter äußerst repressiven Bedingungen agieren. Die Drohung des Regimes an alle »unislamischen Elemente«, im Gefängnis zu landen oder mindestens beruflich kalt gestellt zu werden, ist keine leere. Die Gesellschaft reagiert darauf notgedrungen mit einem Rückzug ins Private. Der hat es allerdings in sich: So suchen und finden viele IranerInnen im Internet jene Freiräume, die ihnen im wahren Leben versagt bleiben. Viele junge Menschen benutzen ihre Sexualität als »politisches Mittel«, da »Sexualität und Körper zum Kampfplatz geworden sind, auf dem das iranische Regime seine Macht ausübt«, so die Anthropologin Pardis Mahdavi.
Doch so unbeliebt die Mullahs und ihre Schergen sind, selbst die (exil-)iranischen Oppositionellen lehnen in ihrer weit überwiegenden Mehrheit einen militärisch erzwungenen »Regime Change« strikt ab. Die Nachbarländer Irak und Afghanistan dienen ihnen als warnendes Beispiel. Die iranische Menschenrechtlerin Shirin Ebadi formuliert es so: »Man kann Demokratie nicht mit Streubomben in die Köpfe der Menschen knallen.« Nicht nur sie befürchtet, dass ein Krieg des Westens gegen den Iran zur Solidarisierung vieler IranerInnen mit dem Regime führen würde.
Umso wichtiger ist es, dass der eines Tages hoffentlich mögliche »Regime Change von innen« von außen unterstützt wird. Politische Bewegungen und Minderheiten sind ja im Iran trotz aller Repression durchaus aktiv. Sie kämpfen vor allem auf der Alltagsebene für Bewusstseinsveränderungen, weil sie noch nicht in der Lage sind, die Machtfrage zu stellen. Ihnen gilt unsere Empathie und Solidarität, und ihnen widmet sich dieser Themenschwerpunkt. Wie sangen einst Ton Steine Scherben? »Wenn die Nacht am tiefsten, ist der Tag am nächsten«.
die redaktion