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Sie sind hier: Startseite Zeitschrift Ausgaben 298 | Konfliktherd Energie Bahman Nirumand: Iran

Bahman Nirumand: Iran

Die drohende Katastrophe, Köln 2006, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 224 Seiten, 16,90 Euro (D), 17,40 Euro (A), 30 SFr.

Rezension: Neue Dynamiken im Iran


Der iranische Präsident Ahmadinedschad hat in der Bundesrepublik durch seine Holocaustleugnung, antijüdische Sprüche sowie einen scharfen Konfrontationskurs gegenüber Israel und den USA vor allem Kopfschütteln erzeugt. Die Situation im Iran ist anders. Dort konnte er 2005 bei den Präsidentschaftswahlen fast 17 Millionen Stimmen erzielen. Ein neues Buch Bahman Nirumands, der eine wichtige Rolle bei der Initiierung der 68er-Bewegung gespielt hat, gibt den deutschen LeserInnen eine Erklärung dafür, wie eine solche Person an die Spitze des iranischen Staates kommen konnte und was von ihr in Zukunft zu erwarten ist. Nirumand stützt seine Analyse vor allem auf Informationen aus dem Iran und westlichen Ländern, die jedoch nicht direkt belegt werden. Allerdings gibt Nirumand seit 2001 im Rahmen der Heinrich-Böll-Stiftung einen Iran-Report heraus, in dem sich die Masse der Informationen - mit einigem Suchen - finden lässt.

Ahmadinedschad wird von der politischen Gruppierung "Abadgaran" (die Aufbauenden) unterstützt, deren Mitglieder vor allem aus Pasdaran und Bassidsch (zwei militärischen Organisationen des Irans) sowie den Geheim- und Nachrichtendiensten der Islamischen Republik kommen. Was diese Leute auszeichnet, ist ein gewisser Protest gegen die bisherige Entwicklung der islamischen Revolution und ihrer Republik. Sie waren diejenigen, die die Demonstrationen und Kundgebungen gegen das Schahregime organisiert, die oppositionellen Gruppierungen bekämpft und während des achtjährigen Krieges gegen den Irak an der vordersten Front gekämpft hatten, während - so ihre Auffassung - andere die Früchte dieser Aktivitäten ernteten. Als islamische Reformer, die ihnen als Repräsentanten einer völligen Fehlentwicklung der islamischen Republik galten, 1997 die Präsidentenwahl und im Jahr 2000 die Parlamentswahlen gewannen, beschlossen sie, eigene Organisationen zu gründen und die Ideale der Revolution neu zu beleben. Mit einer Mischung aus politischer Blockade und direkter und indirekter Terrorisierung gingen sie gegen die Reformer unter dem früheren Staatspräsidenten Khatami vor. Unterstützung gewannen sie 2003/04 unter großen Bevölkerungsgruppen dadurch, dass sie die soziale Problematik aufgriffen.

So stark die Position der Abadgaran ist, so falsch wäre es allerdings, den heutigen Iran als fest in der Hand dieser Gruppe zu sehen. Es gibt andere Machtzentren, die erhebliche Bedeutung in der iranischen Außenpolitik haben, z.B. die Institution des religiösen Führers und der von ihm abhängigen Institutionen. Diese werden von Nirumand allerdings nicht in den Mittelpunkt seiner Analyse eines "Alternativpotentials" gerückt und nur sehr kurz abgehandelt. Nirumand weist stattdessen zu Recht darauf hin, dass im Iran Elemente und Strukturen einer "Zivilgesellschaft" entstanden seien und weiter wüchsen. So gebe es neben Islamisten und konservativen Muslimen unabhängige Geistliche und Reformmuslime, die geistige und kulturelle Impulse aus anderen Ländern - auch aus dem Westen - aufnähmen. Sie suchten im Grunde nach einem eigenen, neuen Weg für den Iran. Außerdem gebe es kritische SchriftstellerInnen und JournalistInnen, die als "Gewissen der Nation" eingeschätzt werden.

In sozialer Hinsicht stütze sich diese neue "Zivilgesellschaft" vor allem auf zwei Gruppen, nämlich Frauen und Jugendliche. Frauen seien im Berufsleben mittlerweile überall präsent, ob als Lehrerinnen, Ärztinnen, Ingeneurinnen oder Architektinnen. Bemerkenswert ist auch, dass heute an iranischen Universitäten mehr Frauen studieren als Männer. Jugendliche bilden die eigentliche Achillesferse der Islamischen Republik. Viele junge Menschen wollen mit dem ideologischen Ballast und der scheinheiligen Moral der Islamischen Republik nichts mehr zu tun haben. Sie wollen selber entscheiden, welche Kopfbedeckung und Kleidung sie tragen, welche Bücher und Zeitungen sie lesen und wer Freund oder Freundin ist. Unterstützung erhalten diese Wünsche durch eine digitale Subversion, die das Internet und das Fernsehen mit sich bringen. Allein in Teheran gibt es 4.000 Internetcafés. Die Zahl der iranischen InternetnutzerInnen wird auf 6 bis 7 Millionen geschätzt. Persisch ist heute die vierthäufigste Sprache, in der Weblogs geschrieben werden.

All dies ist ein beachtliches Potential für Veränderung und Demokratisierung, das allerdings leicht zwischen die Mahlsteine der "großen Politik" geraten kann. Denn Bush und Ahmadinedschad liefern sich ständig gegenseitig Steilvorlagen und verleihen damit dem Konflikt eine Dynamik, die, wenn sie nicht aufgehalten wird, zwangsläufig auf einen Krieg mit verheerenden Folgen hinausläuft. Nirumand plädiert deswegen dafür, dass die Europäer stärker im diplomatischen und außenpolitischen Bereich aktiv werden.

Harald Möller

298 | Konfliktherd Energie
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