Land unter Strom
Land unter Strom | DVD/VHS
Die Landschaftsaufnahmen sind überwältigend: grünbewachsene Berge, so weit das Auge reicht. Die saftigen Farben des mittelamerikanischen Dschungels scheinen Artenvielfalt und Ressourcenreichtum geradezu sichtbar zu machen. Aber bekanntlich ist Bildern nicht zu trauen. Dorit Siemers und Heiko Thiele gehen daher in Land unter Strom auf Nummer sicher und muten den ZuschauerInnen viele Worte zu. Dass sich hinter dem paradiesischen Schein soziale Realitäten verbergen, die alles andere als schlaraffenlandartig sind, zeigt auch dieser Dokumentarfilm. Im zweiten der auf vier Teile angelegten Reihe über "Entwicklungsprojekte" in Mittelamerika geht es um Staudämme.
Mit den Geldern von Weltbank und Internationaler Entwicklungsbank wurde Anfang der achtziger Jahre im Hochland von Guatemala der Chixoy-Staudamm gebaut. Im Zuge des Baus - den die Weltbank heute als "wirtschaftliches Desaster" bezeichnet - wurden verschiedene Maya-Gemeinden zwangsweise umgesiedelt. Die damalige Militärdiktatur schreckte dabei auch vor gröberen Methoden nicht zurück. Zur "Einschüchterung" wurden Frauen vergewaltigt und etwa 400 Maya-Achí massakriert. Weder Weltbank noch die am Bau beteiligten deutschen Unternehmen nahmen daran Anstoß. Elektrisches Licht hatten die umliegenden Gemeinden auch nach der Fertigstellung des zur Stromerzeugung gebauten Staudamms nicht. Denn Entwicklungsprojekte wie diese produzieren in erster Linie für den Export. Die Profite stauen sich also nicht gerade vor Ort.
Der Film geht vier solcher, zum Teil noch in Planung befindlichen Projekte in Mexiko, Guatemala und Honduras nach. Chixoy ist dabei für alle anderen beispielhaft. Zwar werden die ansässigen BewohnerInnen heute nicht unbedingt umgebracht. Die Umsetzung neoliberaler Konzepte in Lateinamerika basiert seit einigen Jahren schon nicht mehr in erster Linie auf der Macht des Militärs. Aber auch die neuen Eliten haben kein gesteigertes Interesse an der Beteiligung der Bevölkerung. Von Entscheidungen bleibt sie ebenso ausgeschlossen wie von den wenigen Vorteilen der Großprojekte. In Honduras müssen gegenwärtig 60.000 Menschen um ihre Lebensgrundlagen bangen, in Mexiko drohen die Maya-Ruinen von Yaxchilan in einem Stausee zu versinken - der Film präsentiert eine ganze Palette solcher Beispiele geplanter "Entwicklung".
Der Kontext, in dem die Staudammprojekte stehen, beispielsweise das Infrastrukturprojekt "Plan Puebla Panama" (PPP), wird dabei ebenso sorgfältig herausgearbeitet wie die Beteiligung europäischer Konzerne. Darin besteht sicherlich eine der Stärken, die auch schon den ersten Film ihrer Reihe auszeichnete, der sich dem Thema Shrimpszucht widmete ("Der Garnelenring", D 2005, 55 min.): die Geschehnisse nicht im fernen Übersee zu belassen, sondern sie auf politische Verhältnisse hier in Europa zu beziehen. Sehr lustig und beredt ist so beispielsweise das dumme Gesicht eines der Manager von Lahmeyer International, einem der führenden Unternehmen in der Staudamm-Branche, der sich vor der Kamera nicht zu konkreten Projekten seiner Firma in Lateinamerika äußern will. Sehr viel hingegen reden die Betroffenen, Leute aus den Gemeinden, BasisaktivistInnen von Umwelt- und Menschenrechtsgruppen sowie Zapatistas aus Chiapas.
Jens Kastner