Alonso Cueto: Die blaue Stunde
Rezension: Das Lachen der Angst
"Ich hatte keinen Grund, etwas gegen die soliden Mauern zu unternehmen, die mich umgaben. Mein Erfolg war ein Schlafmittel." Der Roman Die blaue Stunde von Alonso Cueto beginnt mit der Darstellung eines erfolgreichen Lebens. Adrián Ormache ist Anwalt, verdient gut, verkehrt in den besten Kreisen, er ist sportlich und hat eine perfekte Ehefrau, die sich zu präsentieren weiß. Er wird von Tag zu Tag zufriedener, denn er hat sich "selten gegen die Pflichten der Eitelkeit gewehrt". Doch die Fassade beginnt zu bröckeln, als Adriáns Mutter stirbt und die bislang unbekannte Vergangenheit des ebenfalls toten Vaters ihn einholt - "das anmaßende, fröhliche Gespenst meines Vaters". Dieser folterte und mordete in den 1980er Jahren als Offizier im Krieg gegen die peruanische Guerilla-Organisation Sendero Luminoso.
"Die blaue Stunde" ist ein Roman über die Psychologie des Folterns. Der Sohn versetzt sich in die grausame Gestalt des Vaters und dessen Kumpane: "Doch auch die Folterer hatten Angst, auch sie waren unterjocht, saßen in der Falle. Die Soldaten frühstückten lachend. (...) Es war das Lachen der Angst." Der Roman ist ein Märchen mit umgekehrten Vorzeichen: Er beschreibt den Weg eines Mannes vom Licht in den Schatten, in die Abgründe der peruanischen Geschichte. Im Zentrum steht Miriam, eine ehemalige Gefangene des Vaters, der letztendlich die Flucht gelingt. "Eine ist ihm entwischt... Auch dem besten Jäger entgeht einmal eine Taube", so die verharmlosende und abstoßend kumpelhafte Erklärung des Bruders. Zwanzig Jahre später begibt sich Adrián auf die Suche nach Miriam und verliebt sich - ebenso wie der Vater damals - in sie. Alonso Cueto gelingt es, die vielschichtigen Täter-Opfer-Beziehungen sprachlich exakt zu sezieren und sich politisch hoch brisanten Themen wie peruanische Vergangenheitspolitik und Bürgerkrieg in einem komplexen und bestechend klaren Roman zu nähern.
Stück für Stück entflechtet Adrián die vielschichtige Foltergeschichte. Er trifft sich mit den beiden "Lieblingsfolterern" des Vaters. Je vertrauter er mit ihnen wird, desto mehr sind sie bereit, ihm die Geschichte Miriams und ihre eigene Bereitschaft zur Gewalt im Umgang mit den Senderos zu gestehen. "Manchmal haben wir sie in ein Fass mit Wasser gesteckt, damit sie gestanden. Wenn wir es nicht mit ihnen machten, machten sie es mit uns, so war das eben. Manchmal haben wir ihnen die Eier oder Brüste verdrahtet. Aber nur manchmal."
Der Titel des Romans ist ein Zitat aus Miriams Fluchtbericht, der den anbrechenden Morgen beschreibt, an dem sie fast am Ziel ist - noch ist sie nicht gerettet. Er ist eine Metapher für ihr ganzes Leben, denn sie war immer nur halb in Sicherheit. "Miriam hatte ihn nie verlassen, den Korridor ihrer letzten Nacht zwischen Huanta und Huamanga, sie hatte sich nicht lösen können von der schwachen Linie, die ihre Augen entstehen ließen, um sich an ihr festzuhalten."
Rosaly Magg