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Editorial Themenschwerpunkt

Das Gastspiel der Nationen

Seltsam anachronistisch mutete sie an, die Fußball Weltmeisterschaft im vergangenen Sommer. Der Wettstreit der Nationen will nicht so recht ins Bild des modernen Fußballs passen, in dem die großen und kleinen Stars in einer globalisierten Welt zuhause sind. Im Lauf ihrer Karriere wechseln die Spieler nicht selten fünf oder gar zehnmal den Verein, werden aus Argentinien nach England verkauft, von Ghana nach Russland, von Georgien nach Deutschland und – gegen Ende ihrer Laufbahn – oft noch nach Japan oder in die Arabischen Emirate.

 

Die großen europäischen, zunehmend aber auch südamerikanische und asiatische Teams wirken wir multikulturelle Vorzeigeprojekte. Junge Männer aus der ganzen Welt, mit vielerlei Sprachen und diversen Hautfarben, spielen in einer Mannschaft, ohne dass die Nationalität noch eine große Bedeutung hätte. So stehen bei den rivalisierenden Londoner Teams Arsenal und Chelsea Spieler aus der Schweiz und der Elfenbeinküste, aus Brasilien, Kamerun, Deutschland, Tschechien, Schweden, Spanien, Togo, Nigeria und anderen Ländern unter Vertrag. Insgesamt 29 Spieler der beiden Vereine nahmen bei der WM teil, beim AC Mailand waren es 13, bei Juventus Turin und Manchester United je 12 und beim FC Barcelona und Bayern München je 11.

 

Mancher afrikanische Spieler, der vor jedem Spiel voller Inbrunst seine Nationalhymne mitsang, war schon als Teenager nach Europa exportiert worden, um dort sein Glück im Spiel zu finden. Nicht wenige Fußball-Experten machen gerade diese Entwicklung für das Scheitern der afrikanischen Teams verantwortlich. Die Spieler, so die These, identifizierten sich nicht genug mit ihrer Nation und seien daher nicht wirklich motiviert, für ihr Land zu spielen. Führt das Leben als Weltenbummler also zu einem Schwinden des Patriotismus? Immerhin werden die aus der ganzen Welt zum Länderspiel eingeflogenen Spieler oft in einem Crashkurs für die Nationalelf getrimmt. Dazu gehören in der Regel ein Rhetorikkurs und das gemeinsame Singen der Nationalhymne. Und für nicht wenige inzwischen auch ein Sprachkurs. Denn immer häufiger werden gute Spieler mal kurz eingebürgert, um die Nation zu stärken. Bei dieser WM spielten gebürtige Brasilianer für Portugal und Tunesien, Spanien und Japan. Und selbst das deutsche Team wurde aufgewertet durch ehemalige Polen (Podolski und Klose), Spieler mit italienischem und Schweizer Pass (Neuville) oder mit ghanaischen Eltern (Odonkor, Asamoah).

Der Alltag vieler Fußballspieler spiegelt eine Entwicklung auf dem internationalen Arbeitsmarkt, der durch Migration, kurzfristige und unsichere Angestelltenverhältnisse und hohe Leistungserwartung geprägt ist. Insofern ist der Fußball Vorreiter eines Globalisierungsphänomens, das inzwischen auch in anderen Segmenten der Gesellschaft zutage tritt. Der grenzenlose Freihandel bezieht sich nicht mehr nur auf Güter, sondern zunehmend auch auf hoch spezialisierte und daher begehrte Arbeitskräfte: ProgrammiererInnen, WissenschaftlerInnen, ManagerInnen und nicht zuletzt SportlerInnen.

 

Anachronistisch ist eine Fußball-Weltmeisterschaft, die mit Fähnchen und Hymnen das Nationale betont, während Spieler, Vereine und Funktionäre viel Geld im internationalen Business umsetzen, jedoch nur auf den ersten Blick. So wie der Nationalstaat die Rahmenbedingungen auch für multinationale Konzerne schafft und selbst als Wettbewerbsstaat auf internationaler Bühne in Konkurrenz zu anderen Staaten tritt, so sind auch die Nationalteams und nationalen Fußballverbände nicht bloß seine Repräsentanten. Sie bleiben notwendig, um internationale Regeln in nationales Recht umzusetzen und Rahmenbedingungen zu schaffen, die international verbindlich sind. Sie stiften Identitäten auch für die international aktiven Teams, selbst wenn bei Chelsea London keine englischen und beim SC Freiburg keine badischen Spieler auflaufen. Und – nicht zuletzt -beeinflussen sie den internationalen Markt. Jeder Spieler, der während der WM auffällt, wird von Spielervermittlern und Vereinen umworben, innerhalb weniger Wochen steigt sein Marktwert um ein Vielfaches.

 

Insofern war die Fußball Weltmeisterschaft nicht nur (aber auch!) ein großes Spektakel mit großem Geschäft. Sie war und ist alle vier Jahre auch eine Standortbestimmung für das Alltagsgeschäft der Branche. Sie ordnet

die internationalen Hierarchien neu. Und sie zeigt, dass Globalisierung ohne Nationalstaaten (noch) nicht geht. Im Gegenteil: Das regelmäßige Gastspiel des Nationalen schafft erst die Voraussetzung für ihr Fortschreiten. Beim nächsten Mal in vier Jahren in Südafrika.

 

die redaktion

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