Initiative Antisemitismuskritik Hannover (Hrsg.): Israel in deutschen Wohnzimmern
Rezension: Israel in deutschen Wohnzimmern
Spätestens seit Beginn der Al-Aqsa-Intifada im September 2000 ist alles anders: Die vormals zumindest verbal versicherte Palästina-Solidarität der westlichen Linken besteht so nicht mehr. In Deutschland ist die Diskussion darum mit besonderer Schärfe geführt worden, weil hier die Positionierung zum Israel/Palästina-Konflikt meist mit Auseinandersetzungen um die deutsche Geschichte verbunden wird. Diesbezüglich wird seit einiger Zeit auch verstärkt über Antisemitismus innerhalb der deutschen Linken gestritten.
Im Zusammenhang dieser Debatten hat die "Initiative Antisemitismuskritik Hannover" 2003 eine Veranstaltungsreihe durchgeführt, die nun in gedruckter Form vorliegt: Israel in deutschen Wohnzimmern. Ausgangsthese ist die Einschätzung, dass mediale Berichterstattung über den Israel/Palästina-Konflikt in Deutschland tendenziell
pro-palästinensisch ausfällt. Zudem wird davon ausgegangen, dass die damit einhergehende Bewertung Israels als Aggressor mit dem parallelen Erstarken von Antisemitismus und Antiamerikanismus korrespondiert. In den sieben Beiträgen - so die Einleitung - sollen diese Zusammenhänge und ihre Hintergründe offen gelegt, eine Reflexion der Wahrnehmungsmuster angeregt und ihnen alternative Perspektiven gegenübergestellt werden.
Zunächst fächert Jochen Müller anhand der Berichterstattung arabischer Medien die Zusammenhänge zwischen panarabischem Nationalismus, radikalem Islamismus und Antisemitismus auf. Er argumentiert, dass die gegenwärtige Konjunktur antijüdischer und antiwestlicher Verschwörungstheorien nicht zuletzt ein Resultat der Kolonialgeschichte sei: Diese werde in den arabischen Gesellschaften als eine Geschichte kollektiven Leids erinnert und diene der Konstruktion einer arabisch-muslimischen Opfergemeinschaft, die sich wehrlos dem Zugriff fremder Mächte ausgesetzt sieht. Sylke Tempel analysiert die politischen Hintergründe der Al-Aqsa-Intifada und plädiert dafür, die Forderung nach der Erhöhung des politischen Drucks auf die palästinensische Autonomiebehörde nicht als Kulturimperialismus zu diskreditieren. Denn "jede Gesellschaft hat ein Anrecht auf (...) ein funktionierendes System der Verwaltung, in dem sich die jeweilige Kultur entfalten kann."
Frank Oliver Sobich untersucht Zusammenhänge zwischen Antisemitismus und Antiamerikanismus und stellt fest, dass beide eine diffuse Kapitalismus- und Gesellschaftskritik und darüber hinaus die häufige Bezugnahme auf Israel gemein haben. Leider verzichtet Sobich weitgehend darauf, seine Einschätzungen der überdies recht schematisch kategorisierten Akteure zu belegen, so dass seine Analyse in Teilen spekulativ erscheint. An eindrucksvollen wie beängstigenden Beispielen mangelt es Lars Quadfasel nicht, der über Antisemitismus in der Geschichte der Neuen Linken in Deutschland schreibt. Allerdings läuft seine hoch polemische Darstellung darauf hinaus, der gerechtfertigten Kritik an der antiimperialistischen Deutung des Konflikts lediglich ein anderes binäres "good guys / bad guys"-Schema folgen zu lassen. Ein Beispiel: Quadfasel führt ein 1991 geführtes Interview des damaligen Grünen-Sprechers (und nicht Bundesvorsitzenden, wie Quadfasel schreibt) Ströbele als Beleg für Antizionismus in der deutschen Friedensbewegung an, verschweigt allerdings, dass Ströbele infolge dieses Interviews zurücktreten musste. So entsteht das Bild linker "Heerscharen geistiger Selbstmordattentäter", aber keine Analyse, die der Heterogenität und Widersprüchlichkeit der Neuen Linken gerecht wird.
Schade ist, dass einige Beiträge durch die zwischenzeitliche Entwicklung an Aktualität verloren haben. Zudem wäre ein stärkerer redaktioneller Eingriff wünschenswert gewesen, etwa um die zahlreichen Wiederholungen zu reduzieren. Nichtsdestotrotz stellt der Band wichtige Fragen und regt zum Weiterdenken in vielerlei Richtungen an.
Felix Schürmann