Deniz Yücel: Wir sind ja nicht zum Spaß hier
»Dieses verdammte Aber«
Unter denkbar widrigen Bedingungen im Gefängnis produziert, versammelt Deniz Yücels Buch Wir sind ja nicht zum Spaß hier eine große Auswahl an Reportagen und Satiren der vergangenen 13 Jahre. Seine Stilmittel sind so vielfältig wie seine Themen: linke Verblödung, verrohter Fußball, vergessene Kunst, gewalttätiger Islam, irrsinniger Sexismus. Zu einer seiner besten Arbeiten gehört »Dieses verdammte, beschissene ‚Aber‘«, erschienen kurz nach dem Attentat auf Charlie Hebdo. Ein Kommentar, der die Freiheit der Kunst vor dem politischen Islam verteidigt – auch als globale Verantwortung aller Muslime: »Denn den Islam gibt es nicht; der Islam ist die Summe dessen, was diejenigen, die sich auf ihn berufen, daraus machen. Und was ein nennenswerter Teil daraus macht, ist Barbarei«, schreibt Yücel. Weswegen »die Muslime sich schon um ihrer selbst willen dem Problem stellen müssen, dass diese Irren Teil des Islams sind«. Selten findet sich in deutschen Medien eine derart scharfe Kritik, die vom Pauschalurteil ebenso absieht wie von leidenschaftsloser Schreiberei.
Ein Gutteil des Buches ist jedoch der Türkei gewidmet, jenem Staat also, der seit Jahren mit faschistischem Furor von sich Reden macht. Es sind gerade diese Reportagen, die einen Einblick sowohl in Yücels Sachkenntnis als auch in seine Leidenschaft als Kritiker geben. Dass Yücel aufgrund dieser Reportagen der »Volksverhetzung« und der »Terrorpropaganda« bezichtigt wird, mutet besonders absurd an. Denn in ihnen beschreibt er das, was ohnehin in der Türkei längst bekannt ist: Vetternwirtschaft, Islamisierung, Kriegstreiberei. So sei nicht aus Gründen der Korruption »die Clique um Erdoğan« niederzuringen, sondern wegen des Massakers der »türkischen Luftwaffe im kurdischen Dorf Roboski«, wegen der »Unterstützung der dschihadistischen Barbarei in Syrien«, wegen der »ständigen Ausfälle gegen säkulare Frauen, Aleviten, Armenier, überhaupt alles und alle, die nicht in seine Streichholzschachtelwelt aus Koranversen und Bauplänen passen«.
In Yücels Arbeiten wird deutlich, wovon das türkische Regime sich bedroht sieht: Dass sein Volk nicht im Geringsten geeint und seine autoritäre Formierung völlig widersprüchlich ist. Die Verpflichtung auf Wahrheit brachte Yücel letztlich ins Gefängnis. Dass es ihm dort trotz allem gelang, seinen Beruf weiter auszuüben, ist weit mehr als nur ein persönlicher Triumph. Eben deshalb ist sein Buch lesenswert. In ihm wird deutlich, weswegen den Bekloppten ihre Knarren abzunehmen sind und ihnen stattdessen ein wenig mehr Filiz Çayi (Schwarztee) zu reichen wäre. Denn eine Demokratisierung der Türkei, überhaupt der gesamten Region, bleibt notwendiges Etappenziel emanzipatorischer Kritik.
Henning Gutfleisch