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Sie sind hier: Startseite Zeitschrift Ausgaben 332 | Wem gehört die Stadt? Christian Kracht: Imperium

Christian Kracht: Imperium

Kiepenheuer und Witsch, Köln 2012. 256 Seiten, 18,99 Euro.

Deutschland in der Südsee

Kaum war Christian Krachts Roman Imperium erschienen, wurde er in den Feuilletons heftig diskutiert. Auslöser war Mitte Februar eine Rezension auf SPIEGEL online. Der Rezensent Georg Diez warf Kracht seltsame Neigungen vor, unter anderem für einen faschistischen Stil und »antimodernen Ästhetizismus«. Er bezog sich dabei aber nicht nur auf das Buch, sondern auch auf eine Korrespondenz von Kracht, die dessen fragwürdige Begeisterung für antidemokratische Experimente offen lege. Kracht sei damit ein »Türsteher der rechten Gedanken«, so Diez.

Im Streit um den Roman ging unter, welches Setting sich Kracht für ihn ausgesucht hat. Der Großteil seiner Geschichte spielt nämlich in der deutschen Kolonie »Deutsch-Neuguinea«. Hauptprotagonist ist eine real existiert habende Person namens August Engelhardt. Ein Faktencheck ergibt, dass Engelhardt (1875-1919) Anfang des 20. Jahrhunderts auf Papua-Neuguinea eine neureligiöse Gemeinschaft mit dem obskuren Namen »Sonnenorden – Aequatoriale Siedlungsgemeinschaft« eröffnete.

Dieses Bühnenbild verwendet Kracht für seinen Roman, der offenbar der Abbildung deutscher Geschichte dienen soll. So heißt es über jene Zeit, es sei ein Jahrhundert gewesen, »welches ja bis zur knappen Hälfte seiner Laufzeit so aussah, als würde es das Jahrhundert der Deutschen werden, das Jahrhundert, in dem Deutschland seinen rechtmäßigen Ehren- und Vorsitzplatz an der Weltentischrunde einnehmen würde […].« Hier ist der imperiale Weltgeltungsanspruch zu vernehmen, der das Kaiserreich in die Südsee führte.

August Engelhardt ist der so genannten Lebensreformbewegung zuzurechnen. Sie entstand im Kaiserreich als Reaktion auf Industrialisierung, Säkularisierung und die Moderne allgemein. Besonders im städtischen Bürgertum war die Unzufriedenheit mit den eigenen Lebensverhältnissen und der »Entzauberung der Welt« weit verbreitet. Sie reichte vom Vegetarismus über die Freikörperkultur bis hin zur Landkommune- und Gartensiedlungs-Bewegung. Doch nur wenige wagten schlussendlich den Ausstieg aus ihrem Lebensumfeld.

Die meisten dieser AussteigerInnen verblieben in Deutschland und lebten dort in eigenen Siedlungen. Die Lebensreformbewegung gab sich antiurban und agrarromantisch. Nicht selten kam es zu Verbindungen mit völkischer und antisemitischer Ideologie, etwa in Form eines »arischen« Vegetarismus. Dieses völkische Denken war später eine der Wurzeln des Nationalsozialismus. Auch Engelhardt ist bei Kracht nicht frei von diesem Gedankengut.

Kracht nutzt den deutsch besetzten Teil von Papua-Neuguinea vor allem als exotische Kulisse.

Der Prophet und Missionar August Engelhardt lebt zwar auf einer bewohnten Insel, aber man betrachtet das Leben dort nur aus der Perspektive des Kolonialherren. Einheimische sind für Kracht nur Statisten, sie werden als »Insulaner«, »Eingeborene« und »Kanakenkinder« bezeichnet. Neben einem neuseeländischen Maori und einer Kauffrau aus Samoa wird mit »Makeli« nur ein einziger Einheimischer namentlich benannt. Engelhardt ist »sein Herr« und Makeli dessen »junger Bursche«.

Der namenlose und allwissende Ich-Erzähler, der vom Leben Engelhardts berichtet, beschreibt dessen Umgebung ganz in der Sprache der damaligen Zeit, etwa wenn ein einheimischer Diener als »boy« bezeichnet wird oder vom »Schutzgebiet« die Rede ist. Neben dem Hauptdarsteller werden auch andere Personen porträtiert, die ebenfalls historische Vorbilder haben.

Allerdings vergoldet der Autor nicht unbedingt die deutsche Kolonialherrschaft. Sein Protagonist empfindet Abscheu bei der öffentlichen Auspeitschung eines Einheimischen. Auch legitimiert er nicht den Kolonialismus durch einen allgemeinen Zivilisationsauftrag. Trotzdem ist auch Engelhardt Träger einer zivilisatorischen, allerdings persönlich definierten Mission. Diese richtet sich aber nicht an die Einheimischen, denn Engelhardts Ziel ist es, »ein neues Deutschland zu erschaffen«. Für die Einwohnerschaft von Engelhardts Insel genügt es, wenn diese »befriedet und halbwegs vegetarisiert« ist, wofür Engelhardt sorgt.

Unklar bleibt, ob die Kolonialromantik und der Südsee-Exotismus Engelhardts auch der des Autors Kracht entsprechen, da er eine Distanz zum Beschriebenen nicht erkennen lässt. Eine grundsätzliche Kritik des Kolonialismus findet bei Kracht nicht statt, weder werden die Verhältnisse noch ihre damalige Benennung in Frage gestellt.

So ist die Umgebung letztlich nur Staffage für die Darstellung des Einzelschicksals von Engelhardt, den Kracht wiederum erkennbar als Personifizierung Deutschlands hernimmt.

Während der echte Engelhardt bereits 1919 starb, lässt Kracht seine Figur bis in den Zweiten Weltkrieg leben. Engelhardt isoliert sich zunehmend, wird Antisemit, erkrankt an Lepra und wird immer verrückter. Während des Pazifikkriegs wird er von US-Truppen gefunden.

Das Buch ist, wie bei Kracht üblich, gut geschrieben. Wer aber etwas über das Schicksal von Kolonialisierten aus deren Sicht erfahren will, muss anderswo suchen.

Lucius Teidelbaum

332 | Wem gehört die Stadt?
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