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Sie sind hier: Startseite Zeitschrift Ausgaben 328 | Der Krieg gegen Drogen ist gescheitert Herrschaft unter der Haut

Herrschaft unter der Haut

von Lars Quadfasel

Das Prohibitionsregime spiegelt die Abwehr des Lustprinzips

 

Die Verquickung von Gesundheitspolitik und Drogenabwehr wird besser verständlich, wenn ihre gesellschaftliche Wirkungsgeschichte mitgedacht wird: die Fabrikation der menschlichen Arbeitskraft. Ohne die Kanalisierung menschlicher Bedürfnisse wäre die Schaffung zuverlässiger WarenproduzentInnen kaum möglich gewesen. Drogen gelten daher immer mehr als Luxus, den ‚wir‘ uns nicht mehr leisten können.

Die herrschende Drogenpolitik lässt sich auch als Modellfall der aktuellen Gesundheitspolitik beschreiben – die selbst wiederum einen zentralen Baustein einer Herrschaft bildet, die auf Gehorsam ohne Befehl beruht. Je krisenhafter die gesellschaftlichen Verhältnisse sind, umso leidenschaftlicher gerät die Leiblichkeit der Individuen ins Visier. Sei es die regierungsamtliche Anerkennung abweichender sexueller Identitäten oder umgekehrt der voyeuristische Blick in die Intimsphären der Macht, die Sexualpraktiken amerikanischer Präsidenten oder die Busengröße deutscher Kanzlerinnen; sei es der akademische Politikberatungsbetrieb, der unter dem euphemistischen Stichwort »Bioethik« die Vernutzbarkeit von Föten und die Beendbarkeit ›lebensunwerten Lebens‹ debattiert: Energisch wie lange nicht mehr drängt der Körper in die politische Arena.

Und dort erscheinen dessen Unbeständigkeit, die Anfälligkeit für Siechtum und Verfall, kurz: die Tatsache seiner Vergänglichkeit als Skandalon. Die Politisierung des Körpers ist eine unablässige Gefahrenabwehr, ein permanenter Kampf gegen das ungesunde Leben: gegen mangelnde Bewegung, falsche Ernährung, schädliche Genussmittel und fehlende Vorsorge. Gesundheit, einmal als höchstes Gut etabliert, wird den schwachen und verführbaren Einzelnen aus der Hand genommen. Keine RaucherInnen sollen das gesellschaftliche Klima verpesten, keine UnterschichtlerInnen als Couchpotatoes sich gehen lassen und keine dicken Kinder unsere Zukunft gefährden.

Sozialpolitischer Ordnungsdrang

Das Ideal des gesundheitspolitisch veredelten Körpers lässt Herrschaft unter die Haut gehen. In den Individuen verankert sich hier ein Blick auf sich selbst. Die eigene Leiblichkeit wird dann als gefährdete wie gefährliche und also – verglichen mit der Perfektion des organisch gefügten gesellschaftlichen Ganzen – grundsätzlich defizitäre Angelegenheit gesehen. Mit einer solchen Leiblichkeit dürfen die Individuen sich um keinen Preis identifizieren.

An der Schnittstelle von präventiver Verbrechensbekämpfung und sozialpolitischem Ordnungsdrang verlötet der gesundheitspolitisch veredelte Körper Sachzwang und Moral. Das lässt die Gescheiterten körperlich gezeichnet zurück: Erkennbar an den kaputten Zähnen, den verwahrlosten und – im Falle der Drogenpolitik etwa – durch Prohibitionsfolgen und Brechmitteltortur entstellten Körpern. Zugleich produziert es eine Aura von Unausweichlichkeit. Was die staatlich beförderte »Fit for Fun«-Moral verlangt, ist doch bloß das Allerselbstverständlichste: Lieber reich und gesund als arm und krank. Dafür solle der Einzelne doch etwas tun wollen. Und so erinnert die Gesundheitsreform freundlich daran, dass Krankheit, samt der damit verbundenen Fehltage, ein Luxus ist, den sich nicht jede/r – und erst recht nicht ›wir alle‹ – leisten können.

Sinnlos etwa, sich einzureden, der drogenpolitische Dauerbrenner der letzten Jahre, die Einschränkung des Tabakkonsums, sei ein Anschlag auf Genuss und Sinnesfreude. Rauchverbote treffen nicht das wilde Leben, sondern von allen Lastern das banalste, von allen Räuschen den belanglosesten, von allen Süchten die, die am schwersten zu legitimieren ist. Selbst die meisten RaucherInnen freuen sich, wie Vater Staat ihnen dabei zur Seite steht, ihre hässliche Angewohnheit in den Griff zu bekommen. Wer daher meint, dem Kampf gegen Rauchverbote dadurch Schlagkraft zu verleihen, sich zum Genießer zu stilisieren, kann nur verlieren – weil er oder sie hinnimmt, dass ein Laster sich zu legitimieren habe.

Bei der Gesundheitspolitik geht es nicht bloß, wie gerne behauptet, um ökonomische Rentabilität. Gerade das Beispiel der Rauchverbote zeigt das. Nichtraucherschutz lässt man sich durchaus etwas kosten: Steuereinnahmen genauso wie Jobs im Gastronomiegewerbe. (Und für die Rentenkassen wäre die durch Rauchen verkürzte Lebenserwartung ja auch nicht schlecht.) Das Gleiche auch anderswo: Die zahlreichen vorbeugenden Therapien, die im Zuge der Gesundheitsreform gestrichen wurden, werden einmal teuer zu stehen kommen. Gesundheitspolitik ist stets eine Sache der Moral, denn der Nutzen, Alte und Kranke durchzufüttern, lässt sich ökonomisch nicht kalkulieren. Nur ist Moral in diesem Zusammenhang nicht als großherzige Ausnahme von der Logik des Kapitals zu verstehen, sondern in genau dem Sinne, in dem Marx vom »moralischen Moment« in der Wertbestimmung der Ware Arbeitskraft spricht.

Was damit gemeint ist, lässt sich exemplarisch an der Drogenpolitik zeigen. Deren Grenzverläufe stehen sinnbildlich für die Aushandlungsprozesse betreffs der Frage, was der Körper als Natursubstrat der Ware Arbeitskraft braucht, um zu funktionieren. Anders als bei Maschinen steht, sehr zum Unbill des Kapitals, bei Menschen nicht ein für alle Mal fest, was man in sie hineinstecken muss, um sie anwenden zu können. Die Menge an gesellschaftlicher Arbeit, die zu ihrer Reproduktion benötigt wird, hängt vielmehr ab vom geschichtlichen Stand der Bedürfnisse, von den durch Klassenkämpfe und Produktivkraftentwicklung vermittelten mores (lat. Sitten, Gebräuche). Dazu können sowohl bestimmte Nahrungsgewohnheiten gehören wie die Aussicht, im Rentenalter ein unproduktives Dasein fristen zu dürfen.

Bedürfnisse disziplinieren ...

Da es sich nicht positiv festlegen lässt, wessen ein Körper mit Notwendigkeit bedarf, um produktiv zu bleiben, werden Drogen als Inbegriff des Überschießenden, des Exzesses, des in keiner Hinsicht notwendigen Genusses gesetzt. Das gilt von der Stigmatisierung des Proletariats als »trinkende Klasse« im 19. Jahrhundert über die diversen Haschisch-, Opium- und Heroinpaniken bis hin zu den aktuellen Nichtraucherkampagnen.

Diese Setzung ist freilich immer willkürlich. Schon der Versuch, den Körper und seine Bedürfnisse in den Griff zu bekommen und Notwendiges von überflüssigem Genuss zu unterscheiden (hier Essen, Trinken, Schlafen – dort der Rausch), muss bloße Willkür bleiben. Menschen sind als vernunftbegabte Sinneswesen gerade nicht aufzuspalten in ihre physischen und metaphysischen Anteile. Jedes körperliche Verlangen ist zugleich ein geistiges. Menschliche Bedürfnisse folgen nicht, wie beim Tier, dem Instinkt, um, einmal befriedigt, wieder zu erlöschen. Sie werden durch ihre Erfüllung, ob beim Sex oder beim guten Essen, vielmehr noch gesteigert. Als triebhafte sind sie notwendig exzessiv, denn »jede Lust will Ewigkeit« (Nietzsche).

Die Willkür, die hinter der Aussonderung der Drogen aus der menschlichen Bedürfnisstruktur steckt, wird daher als Willkür gegenüber ihren GebraucherInnen exekutiert: Die Junkies, die man an den Prohibitionsfolgen – Verfolgungsdruck, unreinem Stoff und ruinösen Schwarzmarktpreisen – leiden und sterben lässt, sollen den schlagenden Beweis liefern, dass niemand bei klaren Sinnen Heroin wollen kann. Willkür aber kennt aus sich heraus keine Grenze. Die Logik der Sache verlangt die stete Ausweitung dessen, was als nicht-notwendig, als riskant zu gelten hat, und damit neue Willkür. Mit den gleichen Argumenten (und den gleichen Präventionsstrategien) wie gegen Drogen wird inzwischen auch gegen Fast Food oder Extremsportarten vorgegangen. In der Welt der tausend Süchte wird jede Handlung, die mit Lust verbunden sein könnte, zur potentiellen Gefahrenquelle. Aber die Willkür kann auch in die andere Richtung ausschlagen. »Recreational drug use« oder »Gehirndoping« genießen als Symbol der Zugehörigkeit zur kreativen, leistungsbereiten Mittelschicht inzwischen durchaus Akzeptanz.

Je mehr im Produktionsprozess der Metropolen aus der »Verausgabung von Hirn, Muskel, Nerv« (Marx) die Muskeln herausgekürzt werden, umso mehr löst sich auch das Paradigma der Drogenkontrolle von den handfesten Substanzen (ohne doch je in diesem Kernbereich auf ihre exemplarisch mörderische Wirkung zu verzichten). Suchtprävention bläst sich auf zur allgemeinen gesellschaftlichen Selbstbeobachtung. Die Frage an das Selbst ist, ob unter der eigenen Körperoberfläche Gefahren lauern – Schmerzen, denen man hätte vorbeugen müssen, Ängste oder Wünsche, die einen aus der Bahn werfen könnten, Leidenschaften, die sich nicht vernutzen lassen. Wenn der Körper erst einmal ächzt und muckt, ist es schon zu spät.

Wie die Drogensucht, wird heute Krankheit überhaupt zum Menetekel, bei den Anforderungen postbürgerlicher Subjektivität – flexibel, fröhlich, teamfähig, schlüsselqualifiziert – nicht mehr mitzukommen. Gesundheit aber erscheint nicht mehr als banale Tatsache, bestimmt durch die Abwesenheit von Leid und Schmerz, sondern als hehres Ideal und unendliche Aufgabe.

... und Verführungen abwehren

Im Zustand dauernder Ungewissheit und permanenter Überforderung bleibt den Individuen nichts als das Vertrauen in die Autorität der gesellschaftlichen Herrschaft. Wo sich jede Lust als Exzess, jeder Exzess als Symptom und jedes Symptom als metaphysische Drohung entpuppen kann, braucht es einen, der sagt: »Du darfst!« Das legitimiert ein Quantum an Genuss ohne Reue und Sex, wenn es denn dem Workout und der Persönlichkeitspflege dient.

Ein Urbild dessen, was da abgewehrt wird, findet sich einmal mehr in den Konstellationen des Drogengebrauchs. Drogen erscheinen auch deswegen als unheimlich, weil sie als auf Geist wirkende Naturprodukte an die Kreatürlichkeit des Subjekts erinnern – während ihre Wirkung doch zugleich erfahren lässt, was über bloße Naturkausalität hinausschießt. Sie stellen das fest gefügte Ich in Frage wie dessen rein instrumentelles Verhältnis zum Leib. So sehr die Drogen locken, so sehr schrecken sie das sich um seine Autonomie sorgende Subjekt. Umso mehr, wenn diese Autonomie selbst prekär wird und sich bloß noch als Mittel der Verwertung erhält. Was verlockt, wird abgespalten und externalisiert – übertragen auf den Dealer, gegen dessen Verführungen sich das schwache Ich nur erwehren zu können glaubt, wenn der Staat ihm dabei zur Hand geht.

Zum Dealer, zum Verführer, kann jedoch jeder werden, der Lust verspricht: der schüchtern zischelnde schwarzafrikanische Händler genauso wie McDonalds oder die Raucherin am Nebentisch. Dagegen muss, mit des Staates repressiver Hilfe, das Subjekt sich immer stärker abdichten, sich immer mehr an sich selbst genügen, um Krankes, Schädliches, Begehrliches fernzuhalten – bis es selbst in Leichenstarre versinkt. So wird bestätigt, was Adorno schon vor einem halben Jahrhundert schrieb: »Wenig fehlt, und man könnte die, welche im Beweis ihrer quicken Lebendigkeit und strotzenden Kraft aufgehen, für präparierte Leichen halten, denen man die Nachricht von ihrem Ableben aus bevölkerungspolitischen Rücksichten vorenthielt. Auf dem Grund der herrschenden Gesundheit liegt der Tod.«

 

Lars Quadfasel ist Mitarbeiter in der Hamburger Studienbibliothek und freier Autor.

328 | Der Krieg gegen Drogen ist gescheitert
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