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Sie sind hier: Startseite Zeitschrift Ausgaben 295 | Migration von Süd nach Süd Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche, Susan Arndt: Mythen, Masken und Subjekte

Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche, Susan Arndt: Mythen, Masken und Subjekte

Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Unrast Verlag, Münster 2005, 540 Seiten, 24 Euro.

Mythen, Masken und Subjekte

Die "Critical Whiteness Studies" sind in den USA eine etablierte, obgleich umkämpfte Forschungsrichtung. In Deutschland führt die kritische Weißseinsforschung bislang eher ein Schattendasein (siehe iz3w 290 und 293). Das soll sich nun ändern: Mit dem umfangreichen Sammelband Mythen, Masken und Subjekte bieten die Herausgeberinnen einen Überblick über die bereits existierende Forschung und versuchen "Weißsein als selbstverständliche wissenschaftliche und politische Kategorie in Deutschland zu etablieren".

Beiträge zur Kritik an den Rassevorstellungen der deutschsprachigen Aufklärung stehen neben Erörterungen der andauernden (Neo-) Kolonialgeschichte Deutschlands. Kritische Untersuchungen zum Multikulturalismus ergänzen Beiträge zur Spurensuche nach der Geschichte schwarzer Krankenschwestern in Deutschland. Am Beispiel von chemischen Hautaufhellungscremes vertreten María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan die Position, dass diese postkoloniale Praxis nicht mit subversiver Mimikry verwechselt werden dürfe. Der letzte Abschnitt "Kritische weiße Perspektiven" gibt weißen AutorInnen Raum, ihre Erfahrungen zu reflektieren, die sie in der Auseinandersetzung mit der Kategorie Weißsein gemacht haben.

Wie aber kann "kritisches Weißsein" in Deutschland verstanden werden, das doch nur eine relativ kurze Kolonialgeschichte aufweist? Diesen Standardeinwurf beantworten die AutorInnen auf verschiedenen Ebenen: einmal, indem sie über die konkrete Rekonstruktion der (neo-)kolonialen Geschichte nachweisen, dass Afrika und schwarze Menschen für das Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts konstitutiv waren und es weiterhin sind. Sie untersuchen die Schriften von Kant und Hegel und belegen, dass nicht nur sie von rassistischen Essentialisierungen ausgingen, sondern dass auch kritischere Geister der deutschen Aufklärung sich dem nicht zu entziehen wussten. Die Fülle der Analysen von verschiedenen gesellschaftlichen Feldern, betreffen sie nun das Theater, die Jurisprudenz, die Krankenpflege oder die Universität, verdeutlicht, welchen Beitrag die kritische Weißseinsforschung zur Demaskierung weißer Hegemonie leisten kann.

Dabei entsteht kein einheitlicher Begriff des kritischen Weißseins. So schreibt beispielsweise Peggy Piesche, dass "Weißsein in seiner in sich selbst eingeschriebenen Essentialität gerade nicht verhandelbar ist", während Maureen Maisha Eggers "von der Möglichkeit und sogar der Notwendigkeit einer kritischen und zugleich konstruktiven Positionierung innerhalb weißer Kollektive" (Hervorh. i. O.) ausgeht. Der Widerspruch, ob die Dekonstruktion der Kategorie Weißsein und die Herausarbeitung ihrer historischen Genese bereits eine Verhandlung um den zukünftigen Status ausschließenden Denkens entlang von Hautfarben und ‚kulturellen Praxen' sind und sich hier mögliche Allianzen auftun, oder ob dieses grundsätzlich unmöglich ist, hätte auch zugespitzt werden können.

Obioma Nnaemka und Sander L. Gilman stellen in ihren Beiträgen die entscheidende Rolle der Herrschaft über den Körper heraus. Während Nnaemka untersucht, wie die "Ausstellungen" verschiedener Schwarzer bis in die heutige Zeit "schwarz" vor dem Hintergrund eines "nebulösen, schwer definierbaren Standards" von Weißsein definieren, erörtert Sander L. Gilman am Beispiel der Geschichte medizinischer Eingriffe zur operativen Veränderung der "jüdischen Nase", wie eine Gruppe trotz ‚äußerlich sichtbarer' Zugehörigkeit zur weißen Gruppe dennoch durch bestimmte historische Traditionen und kulturelle Markierungen von dieser ausgeschlossen sein kann. An diesem und anderen Beispielen hätte sich angeboten, die Frage nach der Universalität der Perspektive der ‚Nicht-Weißen' zu diskutieren. Es verwundert, dass die Zuspitzung der Kategorie "Weißsein" im deutschen Faschismus nur durch Gilmans Artikel indirekt benannt wird.

Wenn "Kritische Weißseinsforschung in Deutschland [...] keineswegs ein rein akademisches Feld [ist], sondern auch die alltägliche Reflexion Schwarzen Lebens in einem hegemonialen weißen Setting" (Hervorh.i.O.), dann hätte man diesem Band auch ein Kapitel über die widerständigen Praxen und Organisationsformen von afroamerikanischen Menschen und People of Color in Deutschland gewünscht. Trotz aller Kritik: zur Verankerung
der kritischen Weißseinsstudien im Kanon universitärer Lehre ist der Band wie kein zweiter geeignet.

Lars Stubbe

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