Sound der Secondos
Sound der Secondos | CD
Ein Fünftel der Bevölkerung der Schweiz hat keinen Schweizer Pass und keine vollen Bürgerrechte - und das, obwohl viele der Betroffenen schon in der zweiten oder dritten Generation dort leben. Doch die Secondos und Terceros treten immer mehr ins Rampenlicht. So initiierte das Bündnis IG Secondas 2004 eine Volksabstimmung über Erleichterungen bei der Einbürgerung, die jedoch erfolglos blieb. Im Mai 2006 demonstrierten mehr als 11.000 Menschen unter dem Motto "Wir sind die Schweiz" in Bern gegen diskriminierende Ausländergesetze.
Jetzt zeigt der Sampler Sounds from Home - La Suisse Internationale, dass die MigrantInnen auch frischen Wind in die eidgenössische Musikszene bringen. Zusammengestellt wurde die CD von Thomas Burkhalter, der die Website norient.com, das "Netzwerk für unabhängige lokale und globale Soundlandschaften" betreibt. Dem Musikjournalisten fiel auf, dass die Weltmusik auf immer mehr Interesse stößt, dabei aber in der Schweiz lebende Künstler mit internationalem Background übergangen werden. Während Musiker aus dem Trikont auf Weltmusik-Festivals gefragte Gäste sind, hat die heimische MigrantInnen-Musikszene mit vielfältigen Problemen zu kämpfen: Evren von der türkischen HipHop-Combo Makale aus Basel kann, weil er keinen Schweizer Pass besitzt, nur mit offizieller Einladung im nahen Ausland auftreten.
Die Secondos sind nicht gleichberechtigt, gelten aber auch nicht als "echte ExotInnen" - mit der Folge, dass sie oft nur bei kleinen Labels unterkommen. Ohne den Sprung in internationale Vertriebswege und europäische Konzertagenturen können die KünstlerInnen auf dem kleinen Schweizer Markt aber kaum bestehen. Dabei beherrschen sie allemal das Erfolgs-Einmaleins der Weltmusikszene: Globale Popsounds wie Elektro, HipHop und Ragga werden souverän mit Afro- und Latino-Rhythmen und traditionellen Melodien aus Südosteuropa und dem arabischen Raum vermischt.
In musikalischer Hinsicht mag man den roten Faden auf dieser CD vermissen. Das macht aber auch einen gewissen Reiz aus, denn so wird mit Hörgewohnheiten und Erwartungen gespielt. Einige KünstlerInnen, wie etwa der Senegalese Kara, dessen Song "Ket Kelentaan" in seiner Heimat zum Radio-Hit wurde, orientieren sich an der Musik ihrer Heimatländer. Andere sind GrenzgängerInnen, die auf der Suche nach neuen Sounds und Konzepten sind. Mal klingt der Kulturmix eher oberflächlich, ein anderes Mal originell. Etwa bei Milchmaa, der Balkanbläser mit fetten HipHop-Beats kombiniert. Bei seinen Raps, mit denen er ironisch Vorurteile angreift, wechselt er fließend zwischen serbisch und breitestem "schwyzerdütsch". Geradezu avantgardistisch wird es bei Melinda Nadj Abonji, die akustischen Art-HipHop mit Violine, Beatbox und ungarischen Texten präsentiert.
Auch der politische Kontext der KünstlerInnen ist unterschiedlich. So finden sich auf der CD etwa Polit-Rapper wie X-Chaibä ("Di Schwyzer Realität - Hindernis un Probleme ufgrund von Identität") und die altgedienten linksradikalen Szenehelden Tempo al Tempo. Es gibt aber auch mondänen, hitparadetauglichen Reggaeton von Solo Dos oder R&B von Namusoke, die vom internationalen Erfolg träumt und sich nicht mehr am Thema Rassismus abarbeiten will: "Das Thema
'Secondos und Secondas' in der Schweiz interessiert mich nicht die Bohne". Die agile MigrantInnen-Musikszene in der Schweiz passt also in kein Raster. Aber eins ist klar: die interkulturelle Vielfalt in der Alpenrepublik ist nicht mehr zu überhören.
David Siebert