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Sie sind hier: Startseite Zeitschrift Ausgaben 284 | Realitäten des Multikulturalismus Fatou Diome: Der Bauch des Ozeans

Fatou Diome: Der Bauch des Ozeans

Diogenes, Zürich 2004, 273 S., 18,90 Euro

Rezension: Der Bauch des Ozeans

Welche Geschichten würden die afrikanischen Fußballlegionäre Europas ihren Brüdern und Schwestern in der fernen Heimat erzählen? Würden sie ihre heldenhaften Erlebnisse im unermesslich reichen Schlaraffenland schildern, wo selbst Menschen, die keine Arbeit haben, vom Staat Geld bekommen? Wo man selbst für das Aufsammeln von Hundescheiße alimentiert wird? Oder wären es Alltagserlebnisse, die von Rassismus, schikanösen Polizisten, diskriminierenden Gesetzen und Scheitern handeln?

Fatou Diome entscheidet sich für Letzteres, nicht ohne die Lügengebäude ihrer gescheiterten LeidensgenossInnen als solche zu entlarven. Anhand ihrer autobiografisch gefärbten Geschichte gelingt ihr eine bilderreiche Schilderung überbordender Hoffnungen, der Liebe zum Fußball einer perspektivlosen Generation, die nur ein Ziel kennt: nach Europa zu gelangen und dort Fußballstar zu werden.

Diomes Hauptdarstellerin entscheidet sich als uneheliches Kind eines Quacksalbers, die verachtenden Blicke und Bemerkungen ihrer Dorfgemeinschaft auf einer kleinen Insel im Senegal nicht länger hinzunehmen und geht nach Frankreich. Einige Jahre später will ihr jüngerer Bruder es ihr nachtun und fleht sie an, ihr das Geld für ein Flugticket zu schicken, damit er nachkommen kann, um sein Glück bei einem Fußballverein in Frankreich zu versuchen, damit er seinem Idol Paolo Maldini eines Tages begegnen kann. Ermutigt von den tatsächlichen oder vermeintlichen Erfolgsstories senegalesischer Emigranten, will er das Leben in Armut und ohne Hoffnung auf seiner Insel hinter sich lassen. "Wenn du arm bist, heißt leben, die Luft anhalten, durchtauchen und hoffen, dass es dich an einen sonnenbeschienenen Strand spült, bevor du das letzte Mal Wasser schluckst." Dann helfen auch die Warnungen eines auf der Insel verbannten alten Marxisten oder der eigenen Schwester, die die täglichen Demütigungen und das stets von Abschiebung bedrohte Leben ihrer illegalen Landsleute vor Augen hat. Aber was soll man seinem Bruder sagen, wenn dieser fragt: "Wenn du es besser findest, sich zu Hause durchzuschlagen, warum kommst du dann nicht selber zurück?"

Anhand der EM 2002 und der WM 2004 wird die Fußballbegeisterung eines afrikanischen Dorfes geschildert, das trotz der immer noch andauernden neokolonialen Demütigungen 2002 geschlossen zu Frankreich hält (außer dem kleinen Bruder, der als Maldini-Jünger natürlich für Italien ist), weil Frankreich noch immer die Chance auf ein besseres Leben symbolisiert. Erst bei der WM 2004, als Senegal bis ins Viertelfinale kommt und gleich im ersten Spiel die ehemalige Kolonialmacht schlägt, wendet sich auch das Schicksal der Hauptdarsteller.
Ein beeindruckendes Buch über ein Leben im Exil, das trotz einer eher traurigen Grundstory nie deprimiert, sondern vorzüglich unterhält. Auch für Fußball-Desinteressierte ein anregendes, lehrreiches und vor allem wunderschön geschriebenes Buch.

Christopher Vogel

284 | Realitäten des Multikulturalismus
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