Der Held von Caracas
Súper Bigote fliegt wieder. In der Cartoon-Serie wirft sich der venezolanische Präsident Nicolás Maduro regelmäßig in einen roten Einteiler mit blauer Unterhose und rettet als Superheld Superbigote (von Spanisch bigote: Schnauzbart) das Land. Etwa vor einer elektromagnetischen Drohne, die von den USA geschickt wurde, um Caracas mit Stromausfällen zu plagen, oder vor einem hausgroßen Monstervirus. Ausgestrahlt wird die Serie vom staatlichen Sender VTV – und sie dürfte einer von vielen Gründen sein, warum das venezolanische Publikum das Staatsfernsehen verschmäht.
Titelmelodie ist stets der Siebzigerjahre Salsa-Song »Indestructible« – eigentlich geht es dabei um Trauer und Verlust. Aus dem Mund von Súper Bigote hingegen klingt das »Indestructible« (unzerstörbar) aus dem Refrain voll Häme gegen seine politischen Widersacher*innen. Seit dem Tod des Linkspopulisten Hugo Chávez im Jahr 2013 hält sich Maduro gegen alle Widrigkeiten im Amt. Dabei überstand er unter anderem eine verlorene Parlamentswahl 2015, Wirtschafts- und Ölembargos und auch die Anerkennung des Oppositionspolitikers Juan Guaidó als Interimspräsident durch die USA und die Europäische Union.
Verantwortlich für Maduros Resilienz sind eigentlich keine Superkräfte, sondern klientelistische Kontrollstrukturen, Stimmenkauf, eine von der Regierung besetzte Justiz sowie ein Militär, das aus Öldevisen alimentiert wird, damit es nicht auf dumme Gedanken kommt. Dazu zehrt Maduro noch immer von der Popularität seines Vorgängers Chávez, der mit ölfinanzierter Wohlfahrt Millionen ein Leben jenseits der Armut ermöglichte.
Dass er noch lange im Präsidentenpalast in Miraflores bleiben möchte, zeigte sich jüngst am 1. Mai in Caracas. Auf der Massenveranstaltung hielten seine Anhänger*innen Schilder mit der Aufschrift »Súper Bigote 2024« in die Höhe. Gewinnt der Superschnauzer die Wahlen, könnte er länger im Amt bleiben als Ex-Präsident Chávez.
Schlecht stehen die Karten dafür nicht. Die Opposition zersplittert sich wieder und wieder an der Frage, ob man überhaupt mit dem Regime verhandeln oder sich an Wahlen beteiligen sollte. Aufgrund steigender Ölpreise prognostizierte jüngst die Schweizer Bank Credit Suisse, die venezolanische Wirtschaft werde 2022 um 20 Prozent wachsen. Wegen des russischen Kriegs gegen die Ukraine und der westlichen Sanktionen gegen Moskau wird das venezolanische Öl weltweit interessanter. Mitte Mai kündigte die Regierung Biden nach monatelangen Gesprächen an, die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Venezuela zu lockern. Als Bedingung soll die Regierung Maduro die Verhandlungen mit der Opposition wiederaufnehmen.
Man wolle die Ölproduktion verdreifachen, frohlockt Maduro. Die Bevölkerung wird zumindest darauf hoffen dürfen, dass sich mit der Devisenflut auch die Regale der Lebensmittelgeschäfte wieder füllen. Das große Geschäft dürften andere wittern: Längst ist der chavistische Petrosozialismus zu einer Kleptokratie umgebaut worden, in dem sich ein loyales Netzwerk um den Präsidenten auf Kosten der Bevölkerung bereichert. Als Zeichen des Entgegenkommens hob die US-Regierung etwa die Sanktionen gegen Carlos Erik Malpica Flores auf. Der Ölfunktionär und Neffe der First Lady Cilia Flores wurde unter anderem beschuldigt, in Panama Geld für das organisierte Verbrechen gewaschen zu haben. Geht es nach Maduro, soll auch der kolumbianische Unternehmer und enge Vertraute der Präsidentenfamilie Alex Saab am Verhandlungstisch sitzen. Dieser hat die venezolanischen Sozialsysteme durch den Import minderwertiger Baumaterialien und Lebensmittel um hunderte Millionen US-Dollar erleichtert. Seit er im Oktober 2021 auf der Rückreise aus Teheran von Interpol verhaftet wurde, zieren Bildnisse des »vom Imperium entführten Diplomaten« das Stadtbild Caracas‘.
In der Opposition hofft man nun, dass mit den Sanktionen auch eine der mächtigsten Ausreden des Regimes fällt, welches die Yankee-Imperialisten zur Ursache für jeglichen gesellschaftlichen Missstand erklärt. Offen könnte dann zutage treten, dass für die Stromausfälle keine finsteren Pläne des Auslandes, sondern einfaches Missmanagement und Korruption verantwortlich sind. Dann wäre der antiimperialistische Held Súper Bigote arbeitslos. In Anlehnung an einen anderen Superheldenfilm, nämlich Christopher Nolans »The Dark Knight«, könnte man sagen: Er ist der Held, den Caracas weder braucht, noch verdient.
die redaktion
PS: Aufmerksame Leser*innen werden sich vielleicht wundern, warum sie kein Heft zum Themenschwerpunkt »Dark Tourism« in der Hand halten. Aufgrund des Krieges gegen die Ukraine haben wir uns kurzfristig zu einem Schwerpunkt dazu entschieden (siehe Seite 16). »Dark Tourism« rutscht eine Ausgabe nach hinten.
Auch sonst stehen weitere Veränderungen im iz3w an. Soviel sei schon einmal verraten – es geht um unseren Onlineauftritt. Dabei wollen wir aber nicht nur eine neue Webseite, sondern einiges mehr. Was und wann genau erfahrt Ihr bald an dieser Stelle und auf Social Media.