Veronika Kracher: Incels
Gewalt als Mittel zu Mannwerdung
Vor einem Jahr erntete man noch verständnislose Blicke, wenn man über die Gefährlichkeit von Incels sprach. Am Vorabend des 8. März 2021 schaffte es die Bewegung in den »Tatort« und kam im deutschen Medienmainstream an. Incel bedeutet »Involuntary Celibate«, also unfreiwillig im Zölibat leben. Weniger umständlich: Männer, die keinen Sex haben und darüber frustriert sind. Incel ist eine Selbstbezeichnung und meint mittlerweile eine Bewegung, die sich durch massiven Frauenhass auszeichnet. Sie weist Überschneidungen mit der rechtsextremen Szene auf und hat bereits mehrere terroristische Attentäter hervorgebracht, etwa 2018 in Toronto, als ein 25-Jähriger bei einer Amokfahrt zehn Menschen tötete und 15 weitere verletzte.
In Deutschland wurden die Incels lange als krudes, amerikanisches Onlinephänomen abgetan. Das änderte sich nach dem Anschlag von Halle 2019. Der Täter stand der Incel-Szene zumindest nahe. Eine, die schon lange gegen die Verharmlosung von Incels anschreibt, ist Veronika Kracher. Mit ihrem Buch »Incels. Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults« legt sie jetzt ein umfassendes Werk über die Bewegung vor.
Die Studie gibt einen Überblick über die Geschichte der Incel-Bewegung: In ihren Anfängen war sie eine Art Online-Selbsthilfegruppe für schüchterne Menschen (ironischerweise von einer Frau gegründet). Weitere Stationen sind das Attentat von Isla Vista/Kalifornien bis hin zum Istzustand als misogyner Online-Kult. Zwei Kapitel beschäftigen sich mit Elliot Rodger, einem Idol der Incels. Er erschoss 2014 in Isla Vista sechs Menschen und hinterließ ein ausführliches ‚Manifest‘, in dem er Frauen für alles Schlechte in seinem Leben verantwortlich machte. Kracher analysiert dieses Manifest und beschäftigt sich anschließend mit dem Selbstbild der Incels, das von Selbsthass geprägt ist. Obwohl die Incel-Community für viele ihrer Mitglieder der zentrale soziale Bezugspunkt ist, sucht man Solidarität untereinander vergebens.
Kracher belässt es nicht bei einer Umschau über eine extrem frauenfeindliche Bewegung, sondern ordnet diese gesellschaftlich ein. Dabei verneint sie kategorisch die Ausflucht, Incels seien ‚nur‘ ein abstruser Ausdruck ‚falscher‘ Männlichkeit. Sie fächert theoretisch auf, warum vielmehr Männlichkeit an sich ein pathologisches Problem darstellt. Die Analyse zeigt, dass Incels ein extremer Auswuchs der bestehenden neoliberalen, patriarchalen Verhältnisse sind, die Grundzüge aber in diesen selbst inhärent angelegt sind.
Trotz des bedrückenden Themas lässt sich das Buch gut lesen – Kracher schreibt verständlich und mit einem gewissen Sarkasmus, der die notwendige Distanz zum Thema aufbaut, um es aushaltbar zu machen. Hilfreich ist auch ein Glossar, das die fast eigene Sprache der Incels erklärt. Unbedingte Leseempfehlung!
Larissa Schober
Veronika Kracher: Incels. Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults. Ventil Verlag, Mainz 2020. 275 Seiten, 16 Euro.