Ruha Benjamin: Race after Technology
Rassistische Algorithmen
Ruha Benjamins Race after Technology ist nach dem Mord an George Floyd durch Polizeibeamte in den USA aktueller denn je. Allerdings geht es um eher immateriellen Rassismus in der Polizeiarbeit. Die Professorin für Afroamerikanische Studien an der Princeton Universität untersucht, wie sich rassistische Strukturen mit dem Aufkommen von Systemen automatisierter Entscheidungsfindung, beispielsweise Algorithmen, verändern. Der Anwendungsbereich solcher Systeme ist riesig und wächst stetig: Sie bestimmen nicht nur die Ergebnisse jeder Google-Suche, sondern finden auch zunehmend Anwendung in der Polizeiarbeit.
Benjamin argumentiert, dass diese neuen Technologien – selbst wenn sie unter den Schlagwörtern Innovation und Objektivität eingeführt werden – bestehende rassistische Diskriminierung verschleiern und sogar verstärken können. Denn Benjamin warnt, mit dem Mantra technologischen Fortschritts gehe oft eine Depolitisierung gesellschaftlicher Konflikte einher. Diese ließen sich nie allein auf technischem Wege lösen. Technologien spiegeln immer die Strukturen ihrer Entstehungsorte wider. Einem Algorithmus sind also stets auch die Wertvorstellungen seiner Produzent*innen eingeschrieben.
So führten in den letzten zehn Jahren verschiedenste Polizeibehörden (nicht nur) in den USA Systeme privater Dienstleister ein, die prognostizieren, wann und wo mit Straftaten zu rechnen sei. Polizeiarbeit soll so nicht nur kosteneffizienter, sondern auch frei von etwa rassistischen Vorannahmen werden. Doch die eingesetzten Algorithmen greifen auf Datensätze der Polizei zurück, die oft von rassistischen Praxen geprägt sind. Der Algorithmus lernt so, in welchen Vierteln vermehrt mit Kriminalisierung zu rechnen ist: Die überproportionale Bestreifung von mehrheitlich Schwarzen Stadtteilen wird nicht nur fortgeführt, sondern erhält zusätzlich den Anschein technisch mediierter Objektivität.
Während Benjamin in den ersten vier Kapiteln Formen kodierter Ungleichheit analysiert, zieht sie im Fazit Lehren für eine emanzipatorische Praxis. Neben mehr Diversität in der Tech-Branche führt sie vor allem den Kampf um richtungsweisende Narrative für technologische Neuerungen ins Feld. Solche Innovationen seien stets vorwärtsgerichtet, eine gesellschaftlich fortschrittliche Sichtweise sei ihnen jedoch nicht eingeschrieben. Das gilt es, laut Benjamin, zu ändern. »Race after Technology« bietet eine tiefgründige Analyse und einen Überblick über das Zusammenspiel zwischen Systemen automatisierter Entscheidungsfindung und rassistischen gesellschaftlichen Strukturen. Dabei arbeitet Benjamin so geschickt mit Fallbeispielen, dass ihr akademisches Buch eine niedrigschwellige Lektüre bleibt. Es ist zwar auf die US-amerikanische Situation gemünzt, doch es ist ein hervorragender Ausgangspunkt um auch den deutschen Kontext zu analysieren.
Dominic Lammar
Ruha Benjamin: Race after Technology, Abolitionist Tools for the New Jim Code. John Wiley & Sons, Hoboken 2019. 285 Seiten, ca 18 Euro.