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Natasha A. Kelly (Hg.): Schwarzer Feminismus. Grundlagentexte

Sichtbarmachung, Historiografie und Konzeptualisierung der Black Experience in der BRD

»Ain’t I a Woman?«

»Sehen Sie meinen Arm an! Ich habe gepflügt, gepflanzt und die Ernte eingebracht, und kein Mann hat mir gesagt, was zu tun war! Bin ich etwa keine Frau*?« Diese vielzitierte Frage lautet im Original: »Ain’t I a Woman?« Sie entstammt einer Rede der afroamerikanischen Abolitionistin Sojourner Truth, die sie 1851 bei einer Frauenrechtskonvention in Akron (Ohio) hielt. Sie gilt als zentrale Prämisse des Schwarzen Feminismus, denn sie stellt sowohl Geschlechterstereotype von Frauen* als fragile Wesen in Frage als auch die vermeintliche Schwesterlichkeit der damaligen weißen Frauenbewegung, der Suffragetten.

Truth weist damit auf die Spezifität der Erfahrung Schwarzer Frauen hin, die nicht als »Summe der Erfahrungen Schwarzer Männer und weißer Frauen*« verhandelt werden kann, wie Natasha A. Kelly im Vorwort ihrer Anthologie Schwarzer Feminismus schreibt. In den Sinn kommt dabei der vielsagende Titel einer der wegweisenden Anthologien des Schwarzen Feminismus in den USA aus dem Jahr 1982: »All the Women are White, All the Blacks are Men, But Some of Us Are Brave«. Darin auch schon als Autor*innen vertreten waren Barbara Smith und das Combahee River Collective, deren Beiträge nun für den von Kelly herausgegebenen Band ins Deutsche übersetzt wurden.

Angesichts der Bedeutung und Präsenz, die die Texte und Denkerinnen* des Bandes heute in feministischen und antirassistischen Zusammenhängen zumindest nominell auch hierzulande haben, ist es fast skandalös, wie viel Zeit seit ihrer Erscheinung im Englischen verstrichen ist. Bis auf die Rede von Sojourner Truth sind die Essays in »Schwarzer Feminismus« noch nie ins Deutsche übersetzt worden.

Die von Kelly ausgewählten Texte können als Beiträge für den durch Truth angestoßenen Diskurs gesehen werden, nämlich einer »westlichen Erzählung des Schwarzen Feminismus, die auch in Deutschland als Theorietradition im politischen Handeln und Denken Schwarzer Frauen* verankert ist.« Genau genommen handelt es sich indes um eine Zusammenstellung von Texten afroamerikanischer Frauen*, was aber nicht zwingend eine Verengung der Perspektive bedeuten muss. Denn deren Schaffen prägte das Nachdenken, Schreiben und Sprechen über die Erfahrungen von Frauen* of Color weltweit – und tut es bis heute.

Kelly betont zudem, dass auch, wenn Menschen im Globalen Norden leben, sie dennoch zur Gruppe des Globalen Südens gehören können. Nicht umsonst verwenden Schwarze Feminist*innen den Begriff »Third World Women«, um die geteilten Erfahrungen von Frauen* of Color weltweit denen weißer Frauen gegenüberzustellen – hatten letztere doch lange genug wie selbstverständlich für eine vermeintlich universelle weibliche* Position gesprochen. Dennoch wäre eine explizitere Begründung für diese Beschränkung auf afroamerikanische Tradition sinnvoll gewesen, handelt es sich doch bei der Lebensrealität und Denktradition des Schwarzen Amerika um eine sehr spezifische Schwarze Erfahrung – eine, die von der historischen Situation der Sklaverei auf den Plantagen ebenso wie vom Widerstandskampf des Abolitionismus geprägt ist; aber auch von der Bürgerrechtsbewegung, von Black Power, vom extrem rassistischen US-Knastsystem und vom Fortdauern von Segregation und Diskriminierung nach Abschaffung der rassistischen Jim-Crow-Gesetzgebung.

Dass im Zuge der Allgegenwart US-amerikanischer Kultur und Sprache auch marginalisierte Perspektiven aus diesem Land international Gehör finden, sollte man allerdings nicht vorschnell unter dem Label geistig-kultureller Kolonisierung verhandeln. Zu erklären ist es auch mit dem traditionsreichen Internationalismus der afroamerikanischen Aktivist*innen und Kulturschaffenden. Die afroamerikanische Erfahrung unterscheidet sich aber dennoch radikal von der von PoC in den ehemaligen Kolonien wie auch in den vornehmlich weißen Kolonialstaaten selbst. Postkoloniale Theoretiker*innen wie Gayatri Chakravorty Spivak, die Frauen* der Négritude oder die Feminist*innen Mittel- und Lateinamerikas fehlen jedenfalls in Kellys Sammelband. Es ist zu hoffen, dass er nur der erste Teil einer Reihe von Bänden ist, in denen einflussreiche Texte von Frauen* of Color ins Deutsche übersetzt werden.

Für »Schwarzer Feminismus« bündelte Kelly die Bemühungen einer großen Gruppe von Übersetzer*innen, viele davon selbst PoC und/oder mit migrantischem Background. Übersetzt wurden unter anderen bell hooks, Angela Davis, Audre Lorde, Kimberlé Crenshaw und Patricia Hill Collins. Die Texte stammen zum größten Teil aus der Hochphase des Black Feminism in den USA, den 1980er Jahren.

So konzise wie überzeugend ist die Erläuterung der verwendeten Sprach- und Schreibkonventionen. Dabei geht es etwa um den spezifizierten Einsatz von Asterisken, die Belassung von Begriffen wie of Color und race in der Originalsprache, aber auch um die Großschreibung von Schwarz und die Kursivierung von weiß. Damit bedeutet das Erscheinen von »Schwarzer Feminismus« nicht nur, dass nun auch deutschsprechende Menschen, die der englischen Sprache nicht mächtig sind, endlich diese wegweisenden Texte lesen können. Es handelt sich zugleich auch um einen Beitrag zur Debatte um feministische und antirassistische Sprech- und Schreibweisen und zu Übersetzungspraktiken von und durch PoC. Die Übersetzungen lesen sich zudem durchweg sehr angenehm.

»Ain’t I a Woman?«

»Schwarzer Feminismus« knüpft an dem an, was die Herausgeberinnen* und Autorinnen* des Buches »Farbe bekennen – Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte« bereits 1986 anstießen: Eine Sichtbarmachung, Historiografie und Konzeptualisierung der Black Experience in der BRD.

Kathi King

Natasha A. Kelly (Hg.): Schwarzer Feminismus. Grundlagentexte. Unrast Verlag, Münster 2019. 232 Seiten, 16 Euro.

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