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Sie sind hier: Startseite Zeitschrift Ausgaben 378 | UNO am Ende? Friedensfarbe Blau? - Geschichte und Kritik der UN-Blauhelmmissionen

Friedensfarbe Blau? - Geschichte und Kritik der UN-Blauhelmmissionen

Die erste Militärmission der UN fand bereits 1948 statt. Sie überwachte den Waffenstillstand nach dem Israelisch-Arabischen Krieg und bestand damals noch aus unbewaffneten Offizieren. Seitdem haben sich die heute oft als Blauhelme bezeichneten Missionen stark verändert. Deren Geschichte ist geprägt von Skepsis wie auch von allzu großen Erwartungen über ihre Möglichkeiten.

 

von Alex Veit

 

Bereits die erste Militärmission der Vereinten Nationen 1948 zeigte, dass die Entsendung von Truppen weder ein ausreichendes noch ein schnell wirkendes Mittel zur Friedenssicherung ist. Die diversen folgenden Kriege und bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Israel, arabischen Staaten und verschiedenen bewaffneten Gruppen konnten die UN-Truppe nicht verhindern. Trotzdem besteht die erste Militärmission in Form der »United Nations Truce Supervision Organization« (UNTSO) in Jerusalem und an der nordisraelischen Grenze bis heute.

Von Beginn an waren die Friedenseinsätze der UN umstritten. Für die antiimperialistische Kritik des Peacekeeping verschleierten die blauen Helme der UN-Truppen stets eine geheime Agenda der westlichen Großmächte, die durch sie ihre geopolitischen Interessen durchzusetzen versuchten. Frieden schaffen mit Waffen – dieser anscheinend irre Widerspruch konnte nur eine Falle sein. So lehnt die Partei Die Linke die Entsendung von Bundeswehrangehörigen in UN-Friedenseinsätze bis heute ab.

Aber es gab auch die gegenteilige Ansicht: 1988 wurde den Peacekeeping-Truppen der UN der Friedensnobel-Preis verliehen. Das Nobelpreiskomitee läutete damit die Hochphase des liberalen Peacekeeping-Enthusiasmus ein. Insbesondere in den 1990er Jahren wurden immer neue Friedensmissionen auf den Weg gebracht; und die Zahl der eingesetzten Soldat*innen vervielfachte sich.

Die ursprüngliche Aufgabe der Blauhelme war die Überwachung von Waffenstillstandsabkommen zwischen souveränen Staaten. Diese Truppen waren in der Regel leicht bewaffnet, durften ihre Gewehre aber nur zur Selbstverteidigung einsetzen. Die Erwartung an die Blauhelme war daher begrenzt: Sie sollten eine Verletzung von Abkommen dokumentieren und die Informationen an das UN-Hauptquartier weiterleiten. Eingreifen sollten sie nicht. Die eigentliche Bearbeitung der Konflikte blieb der Diplomatie überlassen.

 

Die UN im Kalten Krieg

So waren die Einsatzmöglichkeiten der Blauhelme beschränkt. In den heißen Konflikten im Kalten Krieg, vom Koreakrieg über den Vietnamkrieg bis zur sowjetischen Intervention in Afghanistan, blieben die Supermächte und ihre so genannten »Stellvertreter« lieber unter sich.

Eine Ausnahme war die Entsendung der Blauhelmmission ONUC in die unabhängig gewordene Demokratische Republik Kongo im Jahr 1960. Dort griffen Soldaten unter UN-Flagge erstmals aktiv in einen Bürgerkrieg ein und beendeten die Sezession der Provinz Katanga. Nachdem UN-Truppen der Entführung und Ermordung des gewählten Premierministers Patrice Lumumba unbeteiligt zugesehen hatten, entzog die Sowjetunion UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld das Vertrauen. Die Supermächte unterstützen nun unterschiedliche Fraktionen im wieder aufflammenden Bürgerkrieg und die UN-Mission wurde bedeutungslos. Am Ende setzte sich mit Hilfe verschiedener Milizen und belgischer Luftlandetruppen der westliche Protégé durch: Oberst Joseph Mobutu.

Die antiimperalistische Kritik der Sowjetunion war hier plausibel: Durch ihre Passivität bei der Ermordung Lumumbas, dem kommunistische Sympathien unterstellt wurden, erschien die UN-Mission als Stellvertreterin westlicher Großmachtinteressen. Allerdings zeigte sich hier schon ein anderer Aspekt: Um die eigenen Interessen durchzusetzen, verließen sich alle Großmächte lieber auf ihre eigenen Apparate in Militär und Geheimdiensten, sowie auf Partner in den betroffenen Ländern. Das hat sich kaum geändert: Als Instrument zielgerichteter Geopolitik ist die politisch komplex strukturierte UN mit ihren aus vielen souveränen Armeen rekrutierten Blauhelmsoldat*innen kaum zu gebrauchen. Bis heute scheuen sich westliche Großmächte, ihre Soldat*innen für Kampfeinsätze unter UN-Kommando zu stellen. Lieber entsenden sie ihre Truppen unter eigenem Kommando, während die UN vor allem auf Soldat*innen aus dem Globalen Süden zurückgreift.

So verliefen die Großkonflikte seit dem Ende des Kalten Kriegs auch weiterhin ohne Beteiligung von UN-Truppen. Vom Zweiten Golfkrieg 1991/92 über den Kosovokrieg 1999, den US-Einmarsch in Afghanistan 2001 und der anschließenden NATO-Intervention, den Konflikt in Syrien seit 2011 und in der Ukraine seit 2014: Überall agieren Truppen der Groß- und Supermächte auf eigene Faust. Dem UN-Apparat werden dann gelegentlich die Aufräumarbeiten überlassen: die Verhandlung von Friedensabkommen, der mühsame Wiederaufbau der staatlichen Verwaltungen und humanitäre Hilfe. Ein alternatives Modell stellt die temporäre Flankierung einer Blauhelmmission mit unabhängigen Kampftruppen aus westlichen Ländern dar. Beispiele hierfür sind die US-Intervention in Somalia 1993-95, die US-Luftangriffe zur Beendigung des Bosnienkriegs 1995, verschiedene EU-Missionen in der Demokratischen Republik Kongo seit 2003 und schließlich Operationen Frankreichs und einiger westafrikanischer Ex-Kolonien, die seit 2013 parallel zur UN-Mission MINUSMA in Mali militärisch agieren.

 

»Robuste« Mandate

Die zunehmend aggressive Form der oft unzutreffend als »humanitäre Mission« betitelten Interventionen militärischer Großmächte – die ihren Höhepunkt in der Invasion des Irak durch die USA 2003 fand – hatte Folgen für die Praxis der UN. Der feine Unterschied zwischen »Peacekeeping« (Friedenserhaltung) und »Peace Enforcement« (Friedenserzwingung) äußert sich völkerrechtlich im Unterschied zwischen den Beobachtermandaten nach Kapitel VI der UN-Charta, und die militärische Gewalt zulassenden Mandate nach Kapitel VII, die als »robuste« Mandate gelten. Während im Kalten Krieg Kapitel VI den Standard setzte, wurden seit dem Scheitern der Beobachtermissionen im Bosnienkrieg und während des Genozids in Ruanda 1994 fast alle neuen UN-Militäroperationen nach dem aggressiven Kapitel VII mandatiert.

Dennoch sind UN-Truppen nur sehr begrenzt für »robuste« Militäreinsätze zu gebrauchen, insbesondere, weil die truppenstellenden Länder ihre Soldat*innen keinem unkalkulierbaren Risiko aussetzen möchten. Dafür sind die Interessen truppenstellender Länder wie Indien, Pakistan und Bangladesch in weit entfernten Bürgerkriegen zu gering. In der Demokratischen Republik Kongo gelang es in nunmehr 20 Jahren nicht, das Land nachhaltig zu befrieden. Im Jahr 2013 zerschlug eine eigens eingerichtete Kampftruppe aus Südafrika und Tansania immerhin die Rebellengruppe M23. Vermutet wird aber, dass sich viele Rebell*innen zwischenzeitlich wieder anderen Milizen angeschlossen haben. In Haiti wiederum verlief die urbane Aufstands- und Kriminalitätsbekämpfung durch UN-Truppen zunächst brutal, aber kurzzeitig erfolgreich. Doch im vergangenen Jahr gab die UN ihre dortige Mission trotz anhaltender politischer Instabilität auf. Immerhin liefern einige quantitative Studien Indizien dafür, dass sich durch den Einsatz von UN-Truppen militärische Gewalt verringert. (Anm. 1)

So haben sich weder die liberalen Erwartungen noch die antiimperialistische Kritik an UN-Missionen bewahrheitet. Interessant sind vielmehr die unbeabsichtigten Folgen der UN-Interventionstätigkeit. Hierzu zählen die Finanzierung ganzer Armee-Bataillone aus Ländern des Globalen Südens; die Entstehung einer großen UN-Friedensbürokratie, die sich meist erfolglos am »capacity building« der Bürokratien in Nachkriegsländern versucht; die militärische Gentrifizierung einzelner Städte und Stadtviertel, in denen sich die Missionen niederlassen; und die dortige Entstehung von informellen und teils kriminellen Schattenwirtschaften.

Aus einer herrschaftskritischen Sicht stehen die großen UN-Blauhelmmissionen für eine internationalisierte Staatlichkeit. Anders als bei den kolonialen Eroberungen im 19. Jahrhundert haben UN-Missionen zwar keine unmittelbaren wirtschaftlichen Eigeninteressen. Allenfalls sichern sie die Offenheit der Rohstoffmärkte im Sinne eines globalen kapitalistischen Systems ab. So verdienen heute im Kongo beispielsweise Konzerne aus westlichen Ländern wie auch aus China an den Bodenschätzen. Ähnlich wie in der kolonialen Periode fehlt es allerdings den oft über mehrere Jahrzehnte stationierten Friedensmissionen an demokratischer Legitimation. Sie beanspruchen zwar, in die souveränen Rechte der Bevölkerungen in Bürgerkriegs- und Nachkriegsländer einzugreifen, sehen sich aber nie für die Folgen ihrer Aktivitäten in der Verantwortung. Dies betrifft sowohl die individuellen Probleme – wie den sexuellen Missbrauch durch UN-Soldaten, der äußerst selten juristisch verfolgt wird – als auch den Wiederausbruch von Streitigkeiten zwischen Bürgerkriegsfraktionen, die kurz zuvor noch mit UN-Ressourcen und internationalen Waffen protegiert worden sind.

 

Anmerkung

1        V. P. Fortna and L. M. Howard: Pitfalls and Prospects in the Peacekeeping Literature. Teils dieselben Autor*innen der Studien sind jedoch skeptisch, ob solche Interventionen Stabilität und Demokratisierung bringen.

 

Alex Veit ist Akademischer Rat am Institut für Interkulturelle und Internationale Studien (InIIS) der Universität Bremen.

378 | UNO am Ende?
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Aus der Magazinsendung vom
Juni 2020:

Der Südnordfunk vom Juni erinnert an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren und an das Schicksal von Kolonialsoldaten, denen nach der Niederschlagung des Naziregimes jede Anerkennung und teilweise auch ihre Entlohnung verweigert wurde. Die Wanderausstellung "Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg" haben wir 2010 in Freiburg gezeigt. Seither ist sie um die Welt gewandert, zum Beispiel nach Gambia und Südafrika. Vom 1. Juli bis Oktober 2020 wird sie in der norddeutschen Gedenkstätte Lager Sandbostel gezeigt.

Die Beiträge im Juni:

 

 

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