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Mit Sicherheit rassistisch - Italien

In ihren fünfzehn Monaten Regierungszeit bis September 2019 hat die rechtsextreme Lega zusammen mit der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) durch diverse Gesetze Fakten geschaffen. Das prominenteste davon ist das in zwei Stufen erlassene »Sicherheitsgesetz«. Schon die Namensgebung stilisiert insbesondere die Migrant*innen zum Sicherheitsproblem. Gegen sie richtet sich ein Großteil der neuen Regelungen.

von Johanna Wintermantel

Die Schikanen des Gesetzes betreffen nicht allein die international am stärksten beachtete Kriminalisierung der Seenotrettung. Auch der Zugang zur Aufenthaltserlaubnis wird erschwert und die Isolation in Massenlagern ausgeweitet. Beides ist in Deutschland durchaus ähnlich, aber in Italien kommt das schiere soziale Elend Tausender Migrant*innen hinzu, das durch das Sicherheitsgesetz noch verstärkt wird.

Ein erheblicher Teil der Flüchtlinge wird durch das Gesetz vom Zugang zu Wohnraum und sonstiger sozialer Infrastruktur abgeschnitten oder ganz in die Illegalität gedrängt. Menschen im Asylverfahren sind nun von der dezentralen Unterbringung durch die Kommunen ausgeschlossen, die teilweise eine recht gute gesellschaftliche Inklusion ermöglichte. Das kalabresische Städtchen Riace war ein Modell dafür, bis dessen Initiator, der Bürgermeister Lucano, kriminalisiert wurde und die Asylsuchenden verlegt wurden. Dezentral untergebracht werden jetzt nur noch diejenigen, die einen internationalen Schutzstatus erhalten, und unbegleitete Minderjährige.

 

Obdachlos und illegalisiert

Den Asylsuchenden bleiben Notunterkünfte oder die Obdachlosigkeit. Da auch die Zuschüsse für die Flüchtlingsunterbringung deutlich gekürzt wurden, ist diese gerade für qualifizierte, gemeinwohlorientierte Betreiber nicht mehr finanzierbar. Das Feld bleibt daher oft unseriösen bis mafiösen Anbietern überlassen, die über Masse, Veruntreuung öffentlicher Gelder und schlechte Qualität Gewinne machen. Mehrfach blieben Ausschreibungen für den Betrieb der Unterkünfte ganz erfolglos, sodass die Einrichtungen geschlossen werden mussten. Die Asylsuchenden wurden teilweise einfach wohnungslos. Asylsuchende dürfen zudem nicht mehr ins Melderegister aufgenommen werden, wodurch sie von den meisten offiziellen Vorgängen ausgeschlossen sind – sie können kaum einen Arbeitsvertrag unterschreiben, eine Gesundheitsversorgung erhalten oder einen Wohnsitz anmelden, selbst wenn sie eine Wohnung finden sollten.

Noch schlimmer ist die Situation für Illegalisierte. Deren Zahl hat sich durch das Sicherheitsgesetz laut einer aktuellen Studie der NGO Actionaid um 40.000 erhöht, aufgrund ausstehender Asylentscheidungen ist zudem mit einem weiteren Anstieg zu rechnen. Der Grund liegt in der Abschaffung des Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen, der zuvor an etwa 25 Prozent der Schutzsuchenden vergeben worden war. Ersetzt wurde er nur durch wenige, viel spezifischere Aufenthaltsgründe. Während in Deutschland auch Menschen ohne Aufenthaltstitel »geduldet«, also weiterhin staatlich erfasst, kontrolliert, oftmals abgeschoben, aber bis dahin minimal versorgt werden, gibt es in Italien wie in den meisten Ländern nach dem Asylentscheid nur die Alternative zwischen Aufenthaltsrecht und Illegalisierung.

Sans Papiers sind Ausbeutung besonders ausgeliefert, da sie auf keinerlei soziale Leistungen Anspruch haben und weder Gewalt noch Arbeitsrechtsverstöße anzeigen können, ohne mit Abschiebung oder Inhaftierung in Abschiebegefängnissen rechnen zu müssen. Die maximale Haftdauer dort wurde mit dem Sicherheitsgesetz auf 180 Tage verlängert. Die Zustände sind oft katastrophal, NGOs berichten seit Jahren von Suiziden, Gewalt, Zwangsprostitution oder unberechtigten Inhaftierungen. Im Januar starb der georgische Asylsuchende Vakhtang Enukidze im Abschiebegefängnis von Gorizia mutmaßlich durch Polizeigewalt. Die potentiellen Zeugen wurden gleich darauf abgeschoben.

Was die Obdach- und Mittellosigkeit bewirkt, wird in der Ebene von Gioia Tauro in Kalabrien deutlich, wo über 2.000 migrantische Saisonarbeiter*innen beschäftigt sind. Der Großteil von ihnen hat einen Aufenthaltstitel, dennoch ist ihre Situation miserabel. Vielen haben keinen Arbeitsvertrag, Arbeitsrechte werden ständig verletzt. Sie »wohnen« im riesigen Barackenlager von San Ferdinando unter katastrophalen Bedingungen. Innerhalb etwas mehr als eines Jahres starben vier Personen durch Brände. Ein fünftes Opfer ist Soumayla Sacko. Als er Freunden dabei half, aus einer stillgelegten Fabrik Bleche zum Barackenbau zu holen, wurde der aus Mali stammende Basisgewerkschafter 2018 von einem mutmaßlichen Mafioso erschossen. Teile von San Ferdinando wurden mehrfach brutal geräumt, legale Wohncontainer bieten keine ausreichende Alternative. Durch das Sicherheitsgesetz erwarten NGOs eine weitere Verschlechterung der Lage.

 

Keine Sicherheit gegen die Mafia

Die mafiöse Ausbeutung der migrantischen Landarbeiter*innen könnte durch das Sicherheitsgesetz noch gefördert werden. Von der Mafia konfiszierte Güter sollen nicht mehr wie bisher direkt an Antimafia-Initiativen, sondern in einer offenen Ausschreibung vergeben werden. Antimafia-Organisationen kritisieren, dass die Mafia sich so ihre Besitztümer, darunter insbesondere Land, wieder zurückkaufen kann.

Manche Aspekte des Sicherheitsgesetzes haben erst auf den zweiten Blick eine ‘rassistische’ Wirkung. Seit 1999 war die Blockade von Straßen und Schienen in Italien nur noch eine Ordnungswidrigkeit, jetzt ist sie wieder eine Straftat. Dies beschneidet die Demonstrations- und Streikfreiheit. Die ersten Betroffenen waren 21 Arbeiter*innen in der Toskana, denen im Oktober Strafen von je 4.000 € auferlegt wurden, weil sie aus Protest gegen monatelang vorenthaltene Löhne eine Straße vor der Fabrik blockiert hatten. Tatsächlich wird die Verschärfung von Strafen vor allem als Waffe gegen Streiks gesehen, die insbesondere im Logistikbereich in den letzten Jahren häufig und effektiv waren. Die Arbeitskämpfe werden vielfach von jenen getragen, die in diesen prekären Sektoren tätig sind – darunter viele Migrant*innen.

Ähnlich sieht es mit Salvinis Faible für Räumungen aus. Hausbesetzungen sind in Italien für viele Arme eine Notwendigkeit, dazu gehören zahlreiche Migrant*innen. Informelle Camps werden von Migrant*innen bewohnt, aber auch von seit Jahrzehnten ansässigen Rom*nja oder italienischen Sint*izze. Angeblich um Geräumten angemessene Unterstützung bieten zu können, hat Salvini im Rahmen des Sicherheitsgesetzes eine Erfassung aller Besetzer*innen und ihrer sozialen Situation angeordnet. Seither folgten unzählige Räumungen, besonders in Rom, wo die Wohnungsnot groß ist. Auch Kinder, alte und vulnerable Personen waren davon betroffen. Die antiziganistische Stoßrichtung von Salvinis Zählung ist zudem unübersehbar. Die Daten über Sinti und Roma würden bereits ausgewertet und zum Beispiel für die Räumung eines Romacamps in Pisa verwendet, verkündete Salvini noch als der Regierungswechsel bereits anstand.

Leider bedeutet der Wechsel zur Regierung der M5S mit dem Partito Democratico (PD) keinen grundlegenden Wandel. Mitte Februar berieten Minister*innen und Vertreter*innen der Mehrheitsparteien über eine Änderung des Sicherheitsgesetzes. Eine komplette Rücknahme forderte jedoch niemand. Im M5S gibt es immer noch Stimmen, die das Gesetz als »großen Schritt nach vorn« bezeichnen. Der Änderungsplan der derzeitigen parteilosen Innenministerin Lamorgese sieht nach Medienberichten lediglich vor, die Strafen für Rettungsschiffe zu reduzieren, den Ausschluss von Asylsuchenden vom Melderegister zurückzunehmen (beides war ohnehin schon durch viele Gerichtsentscheidungen infrage gestellt worden); weitere Aufenthaltsgründe anzuerkennen und die Wartezeit bis zur Einbürgerung von in Italien geborenen Jugendlichen oder mit Italiener*innen Verheirateten wieder zu verkürzen. Es bleibt zu hoffen, dass zumindest noch ein paar Änderungen hinzukommen – Einigkeit besteht wohl im Wunsch nach der Wiedereinführung der kommunalen Unterbringung.

Eine antirassistische Wende durch den PD war aber auch nicht zu erwarten. Salvinis PD-Vorgänger Minniti war es, der sich als Innenminister für die Flüchtlingsabwehr in Libyen einsetzte, den Rettungsschiffen von NGOs Verhaltensregeln aufzwingen wollte, die Klagemöglichkeiten gegen die Ablehnung von Asylgesuchen reduzierte, die Verdopplung der Abschiebungen plante und die Eröffnung von Abschiebegefängnissen in jeder Region verfügte. Eingeführt worden waren die Abschiebeknäste 1998 ebenfalls unter einer Mitte-Links-Regierung.

Aber es regt sich außerparlamentarischer Widerstand. Besonders von Herbst 2018 bis Frühjahr 2019 demonstrierten mehrfach und in verschiedenen Städten Zehntausende gegen Rassismus, das Sicherheitsgesetz und die Blockaden der Seenotrettung. Kontinuierlich läuft die Arbeit von antirassistischen Initiativen, die sich etwa um Monitoring der Abschiebeknäste oder um selbstverwaltete dezentrale Unterbringung bemühen. Besetzer*innen-Gruppen und Basisgewerkschaften setzen Solidarität gegen den »Krieg unter den Armen«, der die Beunruhigung über sozioökonomische Missstände in Rassismus verwandelt. In welche Richtung sich die Gesellschaft durch die Corona-Krise entwickeln wird, ist derzeit noch nicht abzusehen. Genau wie in Deutschland trifft sie die ohnehin Benachteiligten besonders hart, darunter Geflüchtete: Sie mussten auf Rettungsschiffen in Quarantäne ausharren, sind in Massenunterkünften einem besonders hohen Infektionsrisiko ausgesetzt, Wohnungslose erhalten Bußgelder wegen dem Verstoß gegen die Ausgangssperre…

Es gibt durchaus heftige Proteste, nicht nur die blutigen Gefängnisrevolten gegen die Besuchssperre, sondern auch Streiks (siehe Kasten), und Ende März begann ein Hungerstreik im Abschiebegefängnis von Gorizia. Aber die Rufe einzelner Initiativen nach einer Dezentralisierung der Flüchtlingsunterkünfte angesichts von Covid-19 scheinen derzeit ungehört zu verhallen, und die Änderung des Sicherheitsgesetzes verschwindet von der politischen Agenda.

 

Johanna Wintermantel ist freie Journalistin.

 

 

zum Hintergrund:

Streiken wegen Corona

Von der deutschen Öffentlichkeit wenig beachtet hat am 25. März 2020 in Italien ein Generalstreik unter dem Motto »Gesundheit vor Profit« stattgefunden. Wie auch in Deutschland waren in Italien zur Eindämmung des Coronavirus zuerst Schulen und kulturelle Einrichtungen geschlossen worden, dann nicht-lebensnotwendige Geschäfte. Auch die individuelle Bewegungsfreiheit wurde eingeschränkt, aber Produktion und Logistik liefen weiter.

Der Industriellenverband Confindustria hatte Anfang März mit Druck auf die Behörden verhindert, dass diese wie geplant die besonders schwer von Covid-19 betroffenen Gegenden in der Provinz Bergamo als »rote Zone« einstuften und verschärfte Schutzmaßnahmen anordneten. Wie viele Menschenleben diese Intervention gekostet hat, kann vielleicht im Rückblick rekonstruiert werden.

Erst am 22. März verfügte Ministerpräsident Conte, nach einem Treffen zwischen Regierung, Industrie und den großen Gewerkschaftsbündnissen, die Schließung aller nicht »wesentlichen« Produktionsbereiche. Dem vorausgegangen waren bereits eine Reihe von Protesten und Streiks, worauf unter anderem drei Fiat-Werke geschlossen worden waren.

Die Arbeiter*innen kämpfen nicht für den Wirtschaftsstandort Italien, sondern für das Recht, sich vor Coronainfektionen zu schützen: indem bei der Arbeit endlich die nötigen und eigentlich vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen (Ausrüstung, Distanz) gewährleistet werden, indem alle nicht notwendigen Tätigkeiten ausgesetzt und damit auch die Wege zur Arbeit in überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln vermieden und indem Verdienstausfälle kompensiert werden. Dies sollte auch für prekär Beschäftigte gelten, wie etwa Kurierfahrer*innen von Fastfood-Lieferdiensten, die nur die Wahl haben zwischen Infektionsrisiko und Erwerbslosigkeit.

Die auf den ersten Blick rigide Schließung der »nicht-notwendigen« Produktionssparten durch Contes Dekret entpuppt sich nämlich als unzureichend. Insbesondere die Basisgewerkschaften beklagen eine viel zu weitmaschige Auslegung der »Lebensnotwendigkeit«. Ausdrücklich erlaubt ist beispielsweise weiterhin die Produktion in der Raumfahrt- und Rüstungsindustrie, die gesamte Chemieindustrie, die Gummi- und Plastikproduktion; auch auf Baustellen wird weiter gearbeitet. Zudem können Firmen beantragen, als notwendig anerkannt zu werden. Die Logistik ist von dem Verbot überhaupt nicht betroffen. In Betrieben, die weiterlaufen dürfen, ist die Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen nicht gewährleistet: Während die individuellen Ausgangssperren teils absurd penibel sanktioniert werden, ist in der diesbezüglichen Vereinbarung zwischen Industrie und Gewerkschaften keine unabhängige Kontrollinstanz vorgesehen – entsprechend werden aus vielen Betrieben Verstöße berichtet.

Der Streik am 25. März wurde im wesentlichen von den kleineren Basisgewerkschaften getragen. Als nationalen Generalstreik rief ihn die Basisgewerkschaftsunion USB aus. Es beteiligten sich auch Teile der großen Gewerkschaftsbündnisse, besonders in der Lombardei, wo die Gummi-, Plastik-, Textil- und Papierfabriken acht Stunden lang bestreikt wurden. »Von Norden bis Süden, von Triest bis Taranto, sind Logistiklager leer und in Fabriken steht die Arbeit von bis zu 70% der Arbeiter still«, bilanzierte USB. Je nach Branche sollen 60 bis 90 Prozent der Beschäftigten in den Ausstand gegangen sein. Besonders stolz war die USB auf die große Teilnahme der Beschäftigten in wirklich lebenswichtigen Bereichen, die nicht die Arbeit niederlegen konnten, allen voran im Gesundheitsbereich. Sie traten in einen einminütigen »symbolischen Streik« und posteten Fotos von sich mit kurzen Botschaften wie »Streike für mich« oder »Meine Sicherheit ist auch Deine«. Damit erinnerten sie auch an Daniela Trezzi, die 34-jährige Krankenpflegerin aus Monza, die sich kurz zuvor das Leben genommen hatte. Sie war, so USB, nicht nur ein Opfer des Virus, sondern der jahrzehntelangen Kürzungen im Gesundheitswesen.

378 | UNO am Ende?
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südnordfunk zu Corona

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Aus der Magazinsendung vom
Juni 2020:

Der Südnordfunk vom Juni erinnert an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren und an das Schicksal von Kolonialsoldaten, denen nach der Niederschlagung des Naziregimes jede Anerkennung und teilweise auch ihre Entlohnung verweigert wurde. Die Wanderausstellung "Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg" haben wir 2010 in Freiburg gezeigt. Seither ist sie um die Welt gewandert, zum Beispiel nach Gambia und Südafrika. Vom 1. Juli bis Oktober 2020 wird sie in der norddeutschen Gedenkstätte Lager Sandbostel gezeigt.

Die Beiträge im Juni:

 

 

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