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Sie sind hier: Startseite Zeitschrift Ausgaben 377 | Der Lauf der Mode Matthias Küntzel: Nazis und der Nahe Osten

Matthias Küntzel: Nazis und der Nahe Osten

Wie der islamische Antisemitismus entstand. Hentrich & Hentrich, Leipzig 2019. 272 Seiten, 19,90 Euro.

Wenn gegenwärtig über Antisemitismus diskutiert wird, bleibt der Verweis auf antisemitische Einstellungen unter Muslim*innen nicht aus. Insbesondere im Zuge von Migrationsbewegungen aus arabischen Staaten nach Europa hat sich dahingehend eine Debatte entwickelt. Diese greift der Politikwissenschaftler Matthias Küntzel in seinem neuen Buch Nazis und der Nahe Osten auf und verweist einleitend auf Angriffe auf Jüdinnen und Juden, die in Europa durch Muslim*innen begangen wurden. Küntzel geht es dabei vor allem um eine »semantische und historische Analyse« für die Ursachen des Problems, welche er vornehmlich im Wirken des Nationalsozialismus sieht.

Quellenreich beschreibt Küntzel, wie die Nazis gezielt antisemitische Ideologie in arabischen Staaten verbreiteten, um einen jüdischen Staat in Palästina zu verhindern. 1937 begannen die Kollaboration zwischen Nationalsozialisten und Amin el-Husseini, dem »Mufti von Jerusalem«, einem ausgewiesenem Judenhasser. Die mutmaßlich von ihm verfasste Schrift »Islam und Judentum«, die eine grundsätzliche Feindschaft zwischen Muslimen und Juden propagiert, ließen die Nazis übersetzen und breit zirkulieren.

Um auch die teils nicht alphabetisierte Bevölkerung zu erreichen und den Antisemitismus »auf der Straße« zu schüren, wurden ab 1939 Radioprogramme in arabischer Sprache über einen Kurzwellensender in Zeesen, einem Ort bei Berlin, gesendet. Mit ihrer Mischung aus religiösen Inhalten und offenem Antisemitismus erreichten die Sendungen in der arabischen Welt eine breite Zuhörerschaft und schworen diese auf den Kampf gegen die Juden  und Jüdinnen in Palästina ein. Küntzel vermutet zudem, die starke Rezeption der Sendungen auch im Iran habe den Antisemitismus des späteren Revolutionsführers Khomeini beeinflusst.

Das Buch zeigt, wie die nationalsozialistische Propaganda Elemente des modernen europäischen Antisemitismus mit einem bereits vorhandenen islamischen Antijudaismus verknüpft. Hieraus entwickelte sich dann wesentlich der »islamische Antisemitismus«, wie Küntzel die Verbindung einer antijüdischen Lesart des Korans mit antisemitischer Verschwörungsideologie und dem Hass auf Israel nennt.

Vor diesem Hintergrund wendet sich Küntzel gegen die Annahme, der Antisemitismus in der arabischen Welt sei erst mit der Staatsgründung Israels entstanden, sondern betrachtet ihn als eine Folge des Nationalsozialismus. Er geht sogar so weit, den »arabischen Krieg gegen Israel als eine Art des Nachlebens des vorausgegangenen Nazi-Kriegs gegen die Juden« zu verstehen. Man muss dieser Analogie nicht folgen, dennoch drängt sich nach der Lektüre des Buches die Frage auf, warum der islamische Antisemitismus angesichts seiner Historie selten die gleiche Aufmerksamkeit wie seine neonazistische Variante erfährt – und wenn, dann oft nur zum Zweck rechtspopulistischer Instrumentalisierung. Wohl auch deswegen stellt Küntzel im Schlusskapitel Überlegungen zum politischen und pädagogischen Handeln an.

Küntzel ist eine aufschlussreiche und verständliche Darstellung der Genese des islamischen Antisemitismus gelungen. Das Buch beleuchtet nicht nur die unheilvolle und oft unbekannte Begegnung zwischen Nationalsozialismus und Islamismus, sondern dient auch als Grundlage für die Bekämpfung des heutigen Antisemitismus.

von Micha Neumann

377 | Der Lauf der Mode
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