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Reyhan Şahin aka Dr. Bitch Ray: Yalla, Feminismus!

Klett-Cotta, Stuttgart 2019. 316 Seiten, 20 Euro

Feministischer Battle-Rap

Seit 2006 provoziert und revolutioniert die deutsch-türkische Rapperin Reyhan Şahin unter dem Namen Lady Bitch Ray mit ihrem »musikalischen und lyrischen Vagina Style« die Rap-Szene in Deutschland. Ihre Vorbilder sind die US-Stars Lauryn Hill, Missy Elliot und Lil‘ Kim. Von sich selbst sagt sie: »Ich deutete den Begriff Bitch positiv um und führte ihn wie einen neuen Tampon als erste in den Deutschrap ein. Ob Deutschrap es zugeben mag oder nicht. Ich habe ihn mit feministischen Themen entjungfert.«

Neben ihrer Hip-Hop-Karriere forscht Şahin als Sprachwissenschaftlerin und publizierte 2014 ihre Promotion zur »Bedeutung des muslimischen Kopftuchs«. Als sexpositive Feministin stieß sie nicht nur im heteropatriarchalen Deutsch-Rap, sondern auch in der weißen Dominanzgesellschaft und deren Universitäten auf massive Widerstände. Dem Kampf, diese zu überwinden und gleichzeitig Rückschau zu halten, widmet sich Dr. Bitch Ray in vier Kapiteln in ihrem Buch Yalla, Feminismus!. Von zentraler Bedeutung ist dabei der Begriff Intersektionalität, der die auf den ersten Blick etwas eklektisch wirkenden Kapitel über die deutsche Rap-Szene, das muslimische Kopftuch und Şahins Erfahrungen in der Wissenschaft vereint.

Unter Intersektionalität versteht Şahin, angelehnt an Kimberlé Wiliams Crenshaw, das Sich-Überlappen von verschiedenen Differenzkategorien wie Klasse, ‚Rasse‘ und Geschlecht, dem wiederum spezifische Diskriminierungserfahrungen folgen können. Wie dies konkret aussieht, hat Şahin als Kind von alevitisch-türkischen Arbeitsmigrant*innen in Deutschland, als Rapperin und Akademikerin in unterschiedlichen Sphären aufgrund ihrer multiplen Identitäten selbst erfahren. Als Şahin 2006 mit »subversivem Feminismus via explizitem Sex-Rap« auf die Bühne der deutschen Hip-Hop-Szene trat, erfuhr sie als Künstlerin rassistische Hasskommentare und Vergewaltigungsdrohungen, zugleich aber auch Ausgrenzung aus der türkischen und muslimischen Community.

Parallel dazu musste sie feststellen, dass die vermeintlich neutrale und objektive Wissenschaftswelt sich als »Fuckademia« herausstellte, in der auch 2019 noch weiße alte Männer das Sagen haben, und die ihre Doppelkarriere als feministische Rapperin störte. Die Folge waren auch hier Sexismus und Rassismus, teils unsichtbar durch Ausschlüsse bei Stellen und Förderungen, teils offen und existenziell, wie der Angriff auf ihr Stipendium als Doktorandin bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Şahins Buch ist ein mehrdimensionaler queerfeministischer Battle-Rap, in dem sie kein Blatt vor den Mund nimmt. Sie teilt gegen sexistische Rap-Kollegen aus und verdeutlicht, dass Machismo nicht nur bei Gangstern existiert, sondern weiße bürgerliche Künstler wie Cro, Max Herre oder Die Fantastischen 4 ebenfalls sexistische Texte und Videos produzieren. Auch auf Ausgrenzung und mangelnde Solidarität unter Rapperinnen weist Şahin hin.

Anhand der Bloggerin Kübra Gümüşay verdeutlicht Şahin, dass Kritik an Rassismus, Sexismus und Homophobie immer intersektional sein muss. Es reiche nicht aus, wie Gümüşay antimuslimischen Rassismus zu kritisieren und andererseits Sexismus, Antisemitismus und Homophobie in der AKP oder bei Millî Görüş zu verschweigen.

Offen bleibt, an welches Publikum sich Şahins Buch richtet. Ihre Mischung aus sexpositivem Porno-Rap, Empowerment und akademischer Theorie bedarf jedenfalls Leser*innen mit den von Şahin thematisierten »hybriden Identitäten«.

 

Patrick Helber

Reyhan Şahin aka Dr. Bitch Ray: Yalla, Feminismus! Klett-Cotta, Stuttgart 2019. 316 Seiten, 20 Euro.

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