Jérôme Tubiana/ Alexandre Franc: Guantanamo Kid
Mohammed el Gharani wurde als 13-jähriger nach Guantanamo verschleppt. Die journalistische Comic-Reportage erzählt aus seiner Perspektive von den unmenschlichen Haftbedingungen und wie der Teenager trotzdem seine Würde behalten und Widerstand leisten konnte.
»Schäm dich, Obama!«
Die USA errichteten im Anschluss an die Terroranschläge vom 11. September 2001 und ihre Invasion in Afghanistan ab Januar 2002 auf dem kubanischen Militärstützpunkt Guantanamo ein Gefangenenlager, das vor den Augen der Welt verborgen bleiben sollte. Dorthin wurde der 13-jährige Mohammed el Gharani aus dem Tschad verschleppt. In ihrer journalistischen Comic-Reportage Guantanamo Kid erzählen Jérôme Tubiana und Alexandre Franc aus der Perspektive des Schwarzen Inhaftierten von den unmenschlichen Haftbedingungen auf der tropischen Insel und wie der Teenager trotzdem seine Würde behalten und Widerstand leisten konnte.
Die Schwarz-Weiß-Zeichnungen von Alexandre Franc erinnern teils an Marjane Satrapis »Persepolis« und verstehen es, den Schrecken in unschuldig und schlicht wirkende Bilder zu verpacken. Unterbrochen wird die Erzählung durch englischsprachige Quellen wie die Haftordnung oder Gerichtsbeschlüsse, die im Anhang übersetzt werden und die die bürokratisch-nüchterne Dimension der Gewalt vermitteln.
Vor seiner Haft hat Mohammed nie von der Terrororganisation Al-Qaida gehört. Nicht als Kämpfer, sondern für eine bessere Ausbildung ist er von Medina nach Pakistan aufgebrochen. Als in Saudi-Arabien marginalisiert lebender Tschader hoffte er, sich dort Englisch- und Computerkenntnisse aneignen zu können. Stattdessen gerät er nach einem Moscheebesuch in die Fänge pakistanischer Sicherheitsbehörden, die ihn für 5.000 US-Dollar als vermeintlichen Terroristen an die USA verkaufen.
Ironischerweise lernt Mohammed in Guantanamo durch die Drangsalierungen, die musikalische Folter mit Britney Spears‘ »Hit Me Baby One More Time!« und die Konversationen der AufseherInnen Englisch. Eines seiner ersten Worte ist das »N-Wort«, mit dem ihn weiße Aufseher beschimpfen. Gleichzeitig erfährt er auch kleine Gesten der Unterstützung von Schwarzen Wärtern, die in ihm einen rassistisch diskriminierten »Bruder« sehen.
Nach acht Jahren wird Mohammed aus Guantanamo entlassen und 2008 über Bagdad in den Tschad abgeschoben. Laut Pentagon haben 25 Prozent der inhaftierten Männer nach ihrer Entlassung erneut Kontakt zu islamistischen Gruppen gesucht. Auf Mohammed el Gharani trifft das nicht zu. Als ehemaliger Guantanamo-Inhaftierter stigmatisiert, gerät er immer wieder ins Visier der Behörden, woran Versuche scheitern, eine Existenz im Sudan oder in Ghana aufzubauen. Ebenso bleibt ihm die Rückkehr zur Familie nach Saudi-Arabien verwehrt. Gegenwärtig lebt Mohammed in Nigeria.
In Guantanamo saßen im Dezember 2017 trotz Obamas Versprechen, das Lager zu schließen, noch 41 von ursprünglich 730 Inhaftierten ein. Neun Menschen überlebten das Lager nicht.
Patrick Helber
Jérôme Tubiana / Alexandre Franc: Guantanamo Kid. Die wahre Geschichte des Mohammed el Gharani. Carlsen Verlag, Hamburg 2019. 176 Seiten, 20 Euro.