Rita Kesselring: Bodies of Truth
Öffentliche Anhörungen, von christlichen Symbolen und Ritualen geprägt, sollten zur kollektiven Katharsis beitragen und eine neue nationale Harmonie in der jungen Demokratie einüben. Bereits 1996, zwei Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen, hatte die TRC mit ihrer Arbeit begonnen. In keiner anderen Institution wurde die »Regenbogennation« als Inbegriff des Nation Buildings medial so inszeniert, wie bei den Anhörungen der TRC.
Das setzte traumatisierte Überlebende enorm unter Druck. Viele hatten aufgrund organisatorischer Probleme keine Möglichkeit, sich offiziell als Opfer registrieren zu lassen. Ihnen blieben staatliche Hilfen verwehrt. Selbst diejenigen, die von den Behörden als Apartheidopfer anerkannt wurden, warteten oft vergeblich auf die mageren Reparationszahlungen, obwohl sie darauf Rechtsanspruch hatten. Zudem ging der frühere südafrikanische Präsident Thabo Mbeki auf Konfrontation mit der Interessenvertretung von Apartheidopfern, die gegen internationale Konzerne als Profiteure der Apartheid klagten. Er fürchtete, das würde InvestorInnen abschrecken.
Vor diesem komplizierten politischen Hintergrund fragt Rita Kesselring in ihrem Buch Bodies of Truth danach, wie sich das Jahrzehnte währende Leiden, die verschleppten Verwundungen durch Polizeigewalt, die tiefe Trauer über den gewaltsamen Tod von MitstreiterInnen und Familienangehörigen und ein entbehrungsreiches Leben in die Körper derjenigen Frauen einprägten, die Widerstand gegen das Unrechtsregime leisteten. Die Basler Sozialanthropologin hat über neunzehn Monate den Alltag einer Frauengruppe in verarmten Townships nahe Kapstadt geteilt. Sie waren im Netzwerk der Apartheidüberlebenden Khulumani aktiv.
Khulumani bedeutet: laut sprechen, aussprechen. Das betrifft nicht nur das Anprangern von Unrecht. Für die Mitglieder heißt das vor allem, sich bei gegenseitigen Besuchen regelmäßig darin zu bestärken, nicht aufzugeben. Bei Familienkrisen und emotionalen Tiefs zuzuhören, da zu sein für die Anderen.
In ihrem Buch stellt die Autorin ihre Gesprächspartnerinnen würdevoll und mit Empathie vor. So können sich die LeserInnen ihnen respektvoll nähern. Im Unterschied zu zahllosen idealisierenden Veröffentlichungen über die TRC als Erfolgsmodell widmet sich »Bodies of Truth« den vergessenen Apartheidopfern und deren tief verwundeten Körpern. Ehrlich benennt Kesselring ihre eigenen Grenzen, denn oft fehlen den Frauen auch die Worte, erlittene Gräuel zu beschreiben. So reflektiert die Anthropologin über körperliche Präsenz gerade dort, wo Erlebtes unsagbar erscheint. Ihre Überlegungen, wie Annäherungen an Gewaltüberlebende möglich sind, können Friedens- und KonfliktforscherInnen Denkanstöße zum eigenen Vorgehen geben.
Rita Schäfer
Rita Kesselring: Bodies of Truth. Law, Memory and Emancipation in Post-Apartheid South Africa. Stanford University Press, Stanford 2016. 256 Seiten. 27,49 Euro.