Bernhard Jaumann: Der lange Schatten.
Kolonialschuld und Intrigen
Mit seinem dritten Namibia-Krimi greift Bernhard Jaumann erneut ein Thema auf, das historische mit aktuellen Ereignissen verbindet. Als erster Autor verarbeitet er literarisch die Ereignisse rund um die Rückgabe von menschlichen Schädeln, die während der Kolonialzeit geraubt und Ende 2011 von der Berliner Charité-Universitätsmedizin nach Namibia zurück gegeben wurden. Seine Story beginnt originell: Ein Herero plündert aus Rache das Grab des ‘Rasseforschers’ Eugen Fischer auf dem Freiburger Hauptfriedhof, um dessen Schädel nach Namibia zu bringen. Derweil wartet die offizielle namibische Delegation in Berlin auf die Rückgabezeremonie. In Windhoek werden die Frau des deutschen Botschafters und ein Herero-Kind entführt, das sie adoptieren will. Der Botschafter wird erpresst, beim bevorstehenden Empfang der Schädel in Namibia offiziell um Entschuldigung für den von Deutschen begangenen Genozid an den Herero 1904-07 zu bitten und Reparationen zu versprechen.
Nicht nur ProtagonistInnen der ersten Jaumann-Krimis – die Ermittlerin Clemencia Garises und der namibisch-deutsche Journalist Claus Tiedtke – tauchen auf, die Geschichte wird auch aus einer Reihe weiterer Perspektiven erzählt. Den unseligen Umgang mit Kolonialverbrechen seitens der deutschen Diplomatie, aber auch komplexe innernamibische Konstellationen und politische Intrigen verdichtet Jaumann durchaus spannend. Das kulminiert in einem atemberaubenden Grande Finale, das einige scheinbare Gewissheiten der Story wieder umkrempelt.
Allerdings verbleibt ein widersprüchlicher Eindruck. Zum einen leben Jaumanns Krimis von seiner Lokalkenntnis, da er sechs Jahre in Namibia gelebt hat. Dennoch wird beispielsweise ein zentraler realer Schauplatz plötzlich von Robert-Mugabe-Avenue in die (ungleich sympathischere) Nelson-Mandela-Avenue umbenannt, die in Wirklichkeit andernorts verläuft. Das ist, als würde in Berlin auf einmal »Unter den Linden« auf dem Ku’damm platziert.
Gravierender ist die Frage, wie die LeserInnen die massive dichterische Zuspitzung nicht nur der Krimi-, sondern auch der realen Rahmenhandlung verarbeiten sollen. Die Rückgabezeremonie an der Charité, die real vor allem wegen der Haltung der Bundesregierung und der Rede der Staatssekretärin Pieper ein Skandal war, endet hier aufgrund der namibischen Seite in einem totalen Fiasko mit Massenpanik. Nun verlässt nicht mehr Pieper grußlos den Saal, weil sie sich nicht der Kritik von NGOs stellen wollte, sondern sie muss polizeilich in Sicherheit gebracht werden. Dies könnte man als künstlerische Dramatisierung abtun, wenn der Roman nicht sonst an vielen Stellen um historisch-politische Klarstellungen bemüht wäre.
Jaumann laviert also zwischen Aufklärungsroman und Thriller, eine klarere Trennung zwischen Facts und Fiction wäre deshalb wünschenswert gewesen. Auch bleibt die Frage, was für ein Bild die Figur des militanten Herero transportiert, der eine Blutspur durch Berlin zieht. Alles in allem handelt es sich um ein originelles und spannendes Buch, das unbeabsichtigt aber auch nicht ganz unproblematisch ist.
Heiko Wegmann