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Sie sind hier: Startseite Zeitschrift Ausgaben 345 | von Barrieren und Behinderungen Wojciech Jagielski: Wanderer der Nacht.

Wojciech Jagielski: Wanderer der Nacht.

Eine Reportage. Transit 2010. 270 Seiten, 18,80 Euro.

Kinder des Krieges

 

Als Wanderer der Nacht bezeichnet der polnische Journalist Wojciech Jagielski in seinem gleichnamigen Buch die Kinder, die sich jeden Tag aus den umliegenden Dörfern aufmachen, um die Nacht in Gulu zu verbringen. In dieser Stadt im Norden Ugandas sind sie sicher vor umherziehenden Banden, die Kinder überfallen und kidnappen, um sie für den Krieg zu rekrutieren. Dieser Krieg wird seit mehr als zwanzig Jahren zwischen der ugandischen Armee und Rebellengruppen geführt, etwa der Lord’s Resistance Army von Joseph Kony. Der Krieg ist berüchtigt für seine Brutalität, die auch durch KindersoldatInnen ausgeübt wird.

Jagielski berichtet in seinem Buch – einer Mischform zwischen Reportage und Roman – über grausame Kriegshandlungen, mit denen die Menschen ihrer Lebensgrundlage beraubt werden. In einem Heim in Gulu trifft er Samuel, einen ehemaligen Kindersoldaten, und Nora, seine Betreuerin, die beide nach dem Vorbild realer Personen entstanden sind. Zudem knüpft er Kontakt zu Soldaten, ReporterInnen sowie ZivilistInnen, die ihm viel über den Krieg und die verschiedenen Kriegsparteien erzählen. Stück für Stück vermittelt er sein gewonnenes Wissen an die Leserschaft. Dabei versucht Jagielski, eine umfassende Perspektive zu schaffen, berichtet über politisches Geschehen seit der Unabhängigkeit Ugandas und über Weltanschauungen der Acholi, in denen Geister und Ahnen eine wichtige Rolle spielen.

Samuel erzählt Jagielski, wie er bei einem Überfall auf sein Dorf gezwungen wurde, sich der Rebellenarmee anzuschließen und fortan mit ihr zu rauben und zu töten. Nach ein paar Monaten gelang ihm die Flucht, woraufhin er in das Heim aufgenommen wurde. Dort soll er seine Erlebnisse so gut es geht bewältigen, um wieder in die Gesellschaft integriert werden zu können.

Das Buch macht nicht nur auf die Situation von KindersoldatInnen aufmerksam. Die eindrücklichen Schilderungen lassen auch erahnen, welche Schrecken der Krieg für die Zivilbevölkerung mit sich brachte. Doch es gelingt Jagielski nicht durchgängig, einen stringenten Überblick über den Krieg und seine Ursachen zu vermitteln, da er oft von einem Schauplatz zum anderen springt und der rote Faden leicht verloren geht.

Verstärkt wird dies dadurch, dass Jagielski Gulu plötzlich verlässt, um nach Kampala zu fahren. Dort widmet er sich den Wahlen, die sein eigentlicher Reisegrund waren; kein Wort mehr von KindersoldatInnen. Und das, obwohl er zuvor noch sehr erpicht darauf war, Samuels Geschichte zu erfahren und sehr engagiert versuchte, sein Vertrauen zu gewinnen. Nora äußert ihm gegenüber Zweifel an seiner Motivation und Vorgehensweise, vor allem im Hinblick auf die Zukunft: Jagielski wird zurück nach Polen gehen, Samuels Zukunft aber ist ungewiss, da er keine Familie mehr hat, die ihn aufnehmen kann. Der Autor bleibt die Antwort schuldig. So wirkt es, als wolle er sich durch die Fahrt nach Kampala auch einer Verantwortung entziehen – nachdem er die Geschichte des Jungen kennen gelernt hat.

Samuel repräsentiert die komplizierte Situation der ehemaligen KindersoldatInnen: Sie sind Opfer und Täter zugleich, konnten fliehen oder befreit werden und blicken doch meist in keine hoffnungsvolle Zukunft, weil sie traumatisiert sind und oft von der Gesellschaft abgelehnt werden. Wie der Krieg endgültig beendet werden kann, wie Menschen angemessen entschädigt und versöhnt werden können, um wieder zusammen zu leben, das sind Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind. Und was geschieht mit Samuel? Auch das lässt Jagielski offen.

Katharina Forster

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Paula Alberto Kimwanga, 30 Jahre, Lehrerin, Malanje/Angola. Foto: Flurina Rothenberger

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