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Sie sind hier: Startseite Zeitschrift Ausgaben 338 | Fairer Handel Alan pauls: Geschichte der Haare

Alan pauls: Geschichte der Haare

(Originaltitel: Historia del pelo, Übersetzung: Christian Hansen). Klett-Cotta, Stuttgart 2012. 223 Seiten, 18,95 Euro.

Zwischen Eskapismus und Aktivismus

Ein namenloser Mann ist auf der Suche nach einem Genie – ein Genie, das ihm den perfekten Haarschnitt verpasst. Es soll kein Schnitt für den Augenblick sein, sondern einer, der das Wachsen der Haare einkalkuliert und den wahrscheinlichen Look in vier, fünf Wochen voraussieht. Also streift er zu einem nicht näher benannten Zeitpunkt in den späten 1970er oder frühen 80er Jahren durch seine Heimatstadt Buenos Aires: »Er kann nicht nicht weitermachen. (…) Jeder Friseursalon, den er nicht kennt und in den er sich wagt, ist eine Gefahr und eine Hoffnung, eine Verheißung und eine Falle.«

Alan Pauls, Erfolgsautor aus Argentinien, präsentiert in seinem Roman Geschichte der Haare diesen Mann, der völlig auf seine Haarpracht fixiert zu sein scheint. Erst als er die Bekanntschaft mit dem einfallsreichen Friseur Celso aus Paraguay macht, glaubt er, das erhoffte Genie gefunden zu haben. Celso und er werden beste Freunde, während er gleichzeitig seine Partnerin und die anderen Kumpel vernachlässigt. Alles, was nichts mit seiner Passion fürs Haar zu tun hat, erscheint undeutlich und schemenhaft – so als würde er die im Zitat benannten Gefahren und Fallen gerne ausblenden wollen. Vielleicht leidet der Namenlose unter einer sozialen Phobie; wahrscheinlich spürt er, dass er gegenüber seiner Umwelt misstrauisch sein muss. Alan Pauls verhüllt den Bezugsrahmen seiner Geschichte unter einem Berg von Haaren.

Ein konkreter Hinweis auf eine sinnstiftende Lesart des Romans kommt erst mit der Nennung des Namens Norma Arrosito. Der Romanheld und sein Friseur streiten sich nämlich um den Besitz einer Perücke, die einmal der linksgerichteten Untergrundkämpferin Arrosito gehörte. Mit falschem Haupthaar auf dem Kopf beteiligte sie sich 1970 an der Entführung und Ermordung des reaktionären Generals Pedro Eugenio Aramburu. Die Perücke repräsentiert den gewaltsamen Aktionismus der Montoneros, der argentinischen Stadtguerilla, die während der Militärdiktatur mit großer Härte verfolgt wurde. Als Gegenstand verweist sie auf verschiedene Dinge und Haltungen: den Kampf gegen den repressiven Staat, die Erinnerung an eine verschwundene Person, nicht zuletzt auch die Auflehnung der jüngeren Generation gegen ihre Eltern und Großeltern.

Zwischen langen Spaziergängen durch Buenos Aires und scheinbar endlosen Gedankenspielen über ideale Frisuren liegt eine zweite Erzählebene, auf welcher ein Psychogramm der oppositionellen ArgentinierInnen  während der Zeit der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 gezeichnet wird. Auf einmal ist von »Kriegsveteranen« die Rede (sprich: von ehemaligen AktivistInnen, die untergetaucht sind oder unter falscher Identität leben), es stellt sich heraus, dass der Protagonist einige Jahre in Paris verbracht hat (wahrscheinlich als Exilant), es wird über konservative Verleger gesprochen, deren Zeitungen seit Beginn der Diktatur beträchtliche Auflagensteigerungen erfahren haben. Vor diesem bedrohlichen Hintergrund wirkt eine Äußerung des Vaters des Namenlosen wie eine Mischung aus Hohn und kaum versteckter Drohung: Die frisch geschnittenen Haare des Sohnes seien nichts anderes als ein »Verbrechen auf dem Kopf«.

Alan Pauls intelligenter Text erzählt in einer faszinierenden, verschlungenen Sprache von den äußeren Dingen des Alltagslebens und den inneren Nöten der Menschen. Sein Romanheld, der zwischen Eskapismus und Aktivismus hin und her schwankt, verdeutlicht beispielhaft die Dilemmata während der bleiernen Periode in Argentinien.

Thomas Völkner

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