Allgegenwärtige Gewalt
»Ich will nicht, dass dieses Verbrechen auch so endet, wie fast alle anderen in diesem Land, nämlich ohne einen Schuldigen! Es war doch kein Hund, den man getötet hat, sondern ein Mensch, unsere Mutter! Ich kann und will nicht mehr schweigen, selbst wenn es mich das Leben kosten sollte!« Diese Worte brechen aus Sandra López heraus, als sie im Zeugenstand Aussagen zur Ermordung ihrer Mutter macht. Die junge Guatemaltekin aus der Gemeinde Palencia nordöstlich von Guatemala-Stadt meint es ernst. Denn angeklagt ist ein Mitglied der Mara Salvatrucha, eine jener »Pandillas« (Banden), die in den mittelamerikanischen Staaten Honduras, El Salvador und Guatemala für hunderte Morde verantwortlich sind. Die Maras sind meist tief in Drogen-, Waffen- und Menschenhandel, Schutzgelderpressung und Raub verwickelt.
Der Schweizer Journalist Andreas Böhm, der seit einigen Jahren in Guatemala lebt, zeichnet Sandras Leben basierend auf Interviews nach: Eine Kindheit in ärmlichen Verhältnissen, in der Pubertät der Wunsch nach Ausbrechen, die Geburt ihrer Kinder. Allgegenwärtig und erschreckend sind die patriarchalen Strukturen und die Familienhierarchien. Verbale und physische Gewalt wird nicht nur durch drogensüchtige Väter ausgeübt, sondern auch zwischen Müttern und ihren Kindern – in Sandras Familie und quer durch die Gesellschaft. Immer stärker sind die Mitglieder der Mara Salvatrucha als Bekannte oder als Freunde in Sandras Leben präsent.
Böhm ist durchgängig nah dran am Alltag des gesellschaftlichen Milieus von Sandra und ihrer Familie. Auch die Bandenmitglieder sind realistisch dargestellt: Es sind junge Männer (und weniger Frauen), die der häuslichen Enge und den väterlichen Schlägen entfliehen wollen. In einer Gesellschaft, die Jugendlichen nur wenig Freiheiten und bezahlte Arbeitsmöglichkeiten bietet, erscheint das Leben in der Bande als einzige Alternative. Doch häufig führt dieser Weg nicht zu Glück und Wohlstand, sondern zerstört Familien und führt in die Alkoholabhängigkeit. Oft ist das Leben finanziert durch Drogendelikte und Erpressungen, gelegentliche Gefängnisaufenthalte inbegriffen.
Die hohe Authentizität des Textes hat jedoch ihren Preis. Die detaillierten Schilderungen sind auf Dauer etwas zäh und langatmig. Unpassend ist der religiös aufgeladene Titel Teuflische Schatten: Er suggeriert, dass die Maras vom Teufel gesandt sind. Dabei beschreibt das gesamte Buch ausführlich die gesellschaftlichen Strukturen, in denen die Banden agieren, sowie die individuellen Motivationen. Lediglich die Verflechtungen von Justiz und Polizei mit dem organisierten Verbrechen sowie die Unterschiede innerhalb der Maras kommen zu kurz.
Das Buch ist für eine Vor- und Nachbereitung eines Aufenthaltes in Mittelamerika sowie für eine Beschäftigung mit dem Thema jenseits wissenschaftlicher Literatur und Zeitungsartikeln geeignet. Sein Gegenstand ist aktuell: In El Salvador schlossen im März 2012 die beiden großen Maras Salvatrucha und MS 18 mit Unterhändlern der Regierung ein Abkommen. Bandenkonflikte sollen fortan unbewaffnet ausgetragen und Rekrutierungen auf Schulhöfen unterlassen werden. Dafür wurden inhaftierten Bandenchefs Hafterleichterungen gewährt. Auch wenn Drogenhandel und Schutzgelderpressung weitergehen und sozioökonomische Probleme nicht angetastet werden, sank doch die Mordrate seit dem Abkommen von durchschnittlich 14 auf 5,2 pro Morde pro Tag.
von Rosa Lehmann und Sascha Klemz