Emmanuel Dongala: Gruppenfoto am Ufer des Flusses
Couragierte Aufbrüche
Zivilgesellschaftlicher Widerstand und Protestbewegungen, die aus mutigen Einzelaktionen hervorgingen, brachten 2011 in Nordafrika einige Diktatoren zu Fall. Im sub-saharischen Afrika hatte bereits Anfang der 1990er Jahre das Ende des Kalten Krieges neue politische Handlungsfelder eröffnet, die lokale Organisationen für ihre Forderungen nach Demokratie und Freiheit nutzten. Allerdings wurden sie insbesondere in zentralafrikanischen Ländern von den dortigen Militärs brutal niedergeknüppelt. Die Weltöffentlichkeit interessierte sich kaum dafür, schließlich bestätigten afrikanische Despoten nur bekannte Muster.
Die gewaltsame Niederschlagung solcher friedlicher Proteste zwang Emmanuel Dongala ins Exil. Der Romanautor wurde 1941 im zentralafrikanischen Alindao geboren und wuchs in Kongo-Brazzaville auf. Er hatte in Frankreich und in den USA Chemie studiert und arbeitete an der Universität von Brazzaville als Professor für Chemie. Dort baute er eine Theater-Kompanie auf und begann, Kurzgeschichten zu verfassen. 1998 floh er in die USA.
Der äußerst belesene Autor nimmt in seinen Veröffentlichungen keineswegs nur auf afrikanische SchriftstellerInnen, sondern auch auf europäische LiteratInnen Bezug. So verbindet er politische Aufklärung gelegentlich mit Anspielungen auf hiesige Klassiker. Inzwischen hat er drei Romane veröffentlicht, für die er mehrere Literaturpreise erhielt. Ins Deutsche übersetzt sind »Kinder von den Sternen« (2000) und nun Gruppenfoto am Ufer des Flusses.
In seinem neuesten Roman arbeitet Dongala Strukturprobleme seines Herkunftslandes auf, jedoch ohne auf die konkrete Ereignisgeschichte oder die Machenschaften einzelner Despoten einzugehen. Vielmehr erzählt er in lyrisch-poetischem Stil vom Leben afrikanischer Frauen und ihrer Familien unter den Bedingungen einer neokolonialen Diktatur. Während in »Kinder von den Sternen« ein Junge namens Matapari als Protagonist auftritt und die Stärke seiner Mutter ebenso wie den politischen Opportunismus seines Onkels aufdeckt, ist im neuen Roman die Steineklopferin Méréana Rangi die Hauptperson. Auch hier erzählt der Autor eine Familiengeschichte im Zeitalter von AIDS, die von gravierenden Brüchen zwischen Normen und realem Verhalten geprägt ist, und verbindet sie mit dem Topos des politischen Machtmissbrauches.
Dongala lässt offen, ob sich seine Karikatur der herrschenden Einparteienregierung auf die Republik Kongo oder auf die Zentralafrikanische Republik bezieht. Denn die kritisierten Strukturen sind symptomatisch für viele der korrupten und gewaltbereiten Regime, deren politische Eliten sich auf Kosten der verarmten Bevölkerung hermetisch abgeschirmte Luxusinseln geschaffen haben.
Der Inhalt dieses sozialkritischen Romans ist schnell erzählt: Am Ufer eines Flusses zerschlagen Frauen unter sengender Sonne Felsbrocken zu Schotter, den sie an Händler verkaufen. Der Straßenbau boomt und die Steineklopferinnen verlangen etwas höhere Preise für ihre hart erarbeitete Ware. Doch die Händler weigern sich, ihren Forderungen nachzukommen und die Polizei geht gewaltsam gegen die Frauen vor. Einige werden verhaftet, eine Frau wird angeschossen und stirbt. Aus einem lokalen Kampf um faire Bezahlung und menschenwürdige Behandlung wird ein nationales politisches Drama.
Dongala hält auch den Ministerinnen und Präsidentengattinnen einen Spiegel vor, deren Selbstinszenierungen als Wohltäterinnen zugunsten leidender Frauen aus reinem Machtkalkül resultieren. Der Autor veranschaulicht das spannungsgeladene Machtgefälle zwischen den in Intrigen verstrickten Elitefrauen und den integren Steineklopferinnen, die hier für die zahllosen ausgebeuteten Afrikanerinnen stehen. Eindrücklich illustriert er die schmale Gratwanderung zwischen der verbreiteten Korruption und den mutigen Widerstandsstrategien, die auf der Solidarität zwischen den couragierten Steineklopferinnen basieren. Dongala zeigt respektvoll ihre Wehrhaftigkeit und Warmherzigkeit, ihre Selbstzweifel und ihren Mut auf.
Neben den Auseinandersetzungen mit dem Innenminister, der Gender-Ministerin und der Präsidentengattin webt der Autor weitere Ebenen in seinen Roman ein: Er nutzt die sprachlich virtuosen mündlichen Überlieferungen afrikanischer Gesellschaften und vertraut seinen LeserInnen die Lebensgeschichten der Steineklopferinnen an. Ihnen nähern wir uns durch die Protagonistin Méréana Rangi, deren Ehemann Tito sie mit einer Geliebten betrog. Als junges Mädchen mit besonderen mathematischen Fähigkeiten opferte sie ihre eigene Schulbildung seiner Karriere. Dennoch hinterging der egozentrische Mann sie und kam nicht einmal für den Unterhalt der gemeinsamen Kinder auf.
Méréana Rangi teilt ihr Schicksal mit anderen Frauen, etwa mit Ma Bileko, die einst eine erfolgreiche Geschäftsfrau war, bis die Familie ihres Mannes sie nach dessen Tod verstieß und sich den gesamten Besitz aneignete. Nun ist sie auf den Verkauf von Schotter angewiesen, ähnlich wie Batatu, deren wirklichen Namen niemand kennt. Sie wurde als junges Mädchen mit einem Greis zwangsverheiratet und auf ihrer Flucht vor dem gewalttätigen Ehemann von Soldaten vergewaltigt. Die dabei gezeugten Zwillinge versucht sie nun als Steineklopferin durchzubringen.
Dem Autor gelingt es, durch seinen individuellen Erzählstil schreckliche Ereignisse präsent werden zu lassen. Dennoch moralisiert er nicht. Er versteht sich als Fürsprecher für mutige Frauen, die couragiert ihre schwierige Lebenssituation zu verändern versuchen. Sie nehmen Machtmissbrauch, Ausbeutung, Verantwortungslosigkeit der Männer und Einschüchterungen durch Hexerei nicht länger hin.
Dongala vermittelt ein differenziertes Bild von den Lebensbedingungen und Überlebensstrategien der Frauen. Die leisen Zwischentöne, die er etwa durch Zitate aus den morgendlichen Radionachrichten einbaut, bringen uns die Widersprüchlichkeit des Alltags in Zentralafrika nahe. Gleichzeitig zeugen sie von der analytischen Distanz, mit der Dongala das korrupte System in seiner Heimat demaskiert. Nach außen gibt es die Einhaltung internationaler politischer Spielregeln vor und nach innen unterdrückt es mit vielen Spielarten von Gewalt und Ausbeutung die eigene Bevölkerung.
Rita Schäfer