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Sie sind hier: Startseite Zeitschrift Ausgaben 329 | Globales Lernen mit Defiziten Janne Teller: Krieg

Janne Teller: Krieg

Stell dir vor, er wäre hier. Hanser, München 2011. 64 Seiten, 6,90 Euro.

Flüchtling sein

»Wenn bei uns Krieg wäre. Wohin würdest du gehen?« Mit diesen Worten führt uns die dänische Autorin Janne Teller in die Welt eines Kriegsflüchtlings. Die Schriftstellerin löste bereits mit ihrem Jugendroman »Nichts. Was im Leben wichtig ist« (2010) eine heftige Debatte um sinnlose Konventionen aus. In ihrem 2011 erschienen Büchlein Krieg. Stell dir vor, er wäre hier stellt sie die gegenwärtigen politischen Verhältnisse auf den Kopf.

Deutschland befindet sich im Krieg. »Die Demokratie hat zur Europäischen Union geführt, und die ist zusammengebrochen.« Europa versinkt im Chaos und wer kann, flieht in den Nahen Osten, wo noch eine Chance auf eine friedliche Zukunft besteht. Der Vater des 14-jährigen Protagonisten erhält als politisch verfolgter Demokrat Asyl in Ägypten. Nach drei Jahren lässt er seine Angehörigen mithilfe von Schleusern nach Ägypten bringen.

Dort angekommen, erwartet die Familie das ganze Elend eines Flüchtlingsdaseins. Die Einwanderungsgesellschaft versteht sich als »klassische Kulturgesellschaft«, in der es keinen Bedarf für die »dekadenten Menschen aus dem Norden« gibt. Die Aushändigung der Aufenthaltsgenehmigung dauert länger als angenommen und das monotone Lagerleben wird zur Qual.

Nach zwei Jahren erhält die Familie endlich Asyl. Doch wie soll man Fuß fassen in einem Land, dessen Sprache und Klima ungewohnt sind, und in dem Armut und unverhohlene Fremdenfeindlichkeit das Leben erschweren? Irgendwie schafft es der namenlose Protagonist, sich trotz aller Hürden in der neuen Gesellschaft zurecht zu finden. Sein langfristiges Ziel ist die Rückkehr nach Deutschland, wo er nicht länger als Mensch zweiter Klasse leben muss. Doch das stellt sich als schwierig heraus.

In ihrem Gedankenexperiment zeigt Teller, dass sie keine Scheu vor radikalen Ideen hat. Die Botschaft ist einfach: Krieg und Migration, Fremdenfeindlichkeit und Entwurzelung können jede/n treffen. Das Radikale dabei ist die Rücksichtslosigkeit, mit der die Autorin die LeserInnen mit der Fragilität ihrer Welt konfrontiert und in das Kriegsgeschehen wirft.

Mittels der Du-Anrede spricht Teller die LeserInnen direkt an und lässt sie in die Haut eines Kriegsflüchtlings schlüpfen. In der deutschen Ausgabe des bereits 2004 in Dänemark erschienen Rollenspiels berücksichtigte die Autorin auch die nationalen Gegebenheiten. So geht es in der deutschen Fassung nicht um einen Krieg in Skandinavien, sondern um den Zusammenbruch der EU als »vorherrschende Bedrohung«. Originell ist auch die Aufmachung des Buches. Das Cover ist einem deutschen Reisepass nachempfunden. Die Illustrationen von Helle Vibeke Jensen visualisieren die Probleme eines Flüchtlings wie Anonymität oder Heimatlosigkeit.

Tellers schmaler Band wurde in Deutschland veröffentlicht, als tausende NordafrikanerInnen während des Arabischen Frühlings nach Europa flohen. Die Boatpeople, die – wenn sie Glück hatten – in den überfüllten Auffanglagern Lampedusas strandeten, waren erneut Anlass für heftige politische Auseinandersetzungen. Vor diesem Hintergrund ist Tellers Kritik an der Einwanderungspolitik in Europa und dem Umgang mit AsylbewerberInnen hochaktuell.

Vielleicht ist es die Tatsache, dass die Autorin selbst aus einer österreichisch-deutschen Einwanderer- und Flüchtlingsfamilie stammt, die ihre fiktive Biographie so authentisch wirken lässt. Vielleicht ist es aber auch ihrer Arbeit als Konfliktberaterin in verschiedenen Krisengebieten zu verdanken. Wer sich auf Tellers preisgekrönte »Einladung an die Vorstellungskraft« einlässt, wird jedenfalls nicht enttäuscht werden.

Feven Michael

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