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Tourismuspolitik

"Come back to the Indian Ocean"

Kommentar: Die Reise als Spende für den Wiederaufbau?

von Martina Backes

Die "noch nie da gewesene globale Reaktion", zu der Kofi Annan am zwölften Tag nach der Flutwelle anlässlich der Eröffnung der "Geberkonferenz" in Jakarta auf die "noch nie da gewesene Katastrophe" aufrief, gibt es tatsächlich. Sie besteht in erster Linie aus einem weltweiten Ranking von Spendensummen und Zahlen zu Todesopfern, Obdachlosen, Vermissten, ausbleibenden TouristInnen, toten Delfinen und Wiederaufbaukosten - sowie aus einer Flut an rücksichtslosen Bildern über Leid, Gewalt und Schrecken. Zwar mögen die Medien die Unmenge an taktlosen Direktübertragungen von lebenden und toten Opfern nicht nur wegen der Einschaltquoten gesendet haben. Vielleicht bewirkt ja tatsächlich nur ein Immer-Mehr an Hemmungslosigkeit, mit der persönliches Leid weltweit ausgestrahlt wird, eine emotionale Involviertheit bei dem weithin an mediale Gewaltszenarien gewöhnten Zuschauer - und potenziellen Spender. Und sicher mag man dem geschmacklosen Spendenwettranking von Industrie, Banken, Regierungen und Privatpersonen (10 Millionen von Coca Cola; 500 Millionen von Schröder und ein Link für Direktspenden zugunsten PhiPhi Islands auf der Website von Leonardo di Caprio, dem Hauptdarsteller des dort gedrehten Films "The Beach") entgegenhalten, dass der gute Zweck das weniger edle Motiv der Imagepflege heiligt. Doch wird im derzeitigen westlichen Taumel für Superlative die angemessene Hilfsbereitschaft flugs zu einer uneingeschränkten Solidarität mit den Armen stilisiert.

Um sich im nächsten Zuge mit ihr positiv von dem Mangel an der finanziell gemessenen Solidarbereitschaft der arabischen Ländern abzugrenzen. Die Lust an dem eigenen Leid, so meinte etwa die FR, sei in den arabischen Ländern, die dazu neigten, sich als Opfer westlicher Politik und Geschichte zu sehen, stärker als die Bereitschaft zum Engagement. Noch sind die versprochenen nationalen Spendengelder nicht geflossen, ist kein umfassendes Schuldenmoratorium - geschweige denn ein Schuldenerlass - in Kraft getreten und kein Kommunikationssystem aufgebaut, das Frühwarnungen bis in die marginalisierten Dörfer senden könnte. Doch schon jetzt werden aus der Hilfe für die Flutopfer Chancen herausgelesen, sei es bezüglich eines modernen Infrastrukturaufbaus für die betroffenen Regionen oder der "Einigkeit der internationalen Politik unter dem Dach der Weltorganisation UNO" - globale Strukturpolitik, Überwindung des USA-UNO Grabens und westliche Modernisierung des armen Südens in einem Aufwasch.

In Ostasien und China haben die Börsen für kaum mehr als einige Stunden auf die Katastrophe reagiert. Die Verluste für die Versicherungsgesellschaften werden auf weniger als fünf Milliarden Dollar geschätzt. Zum einen, so das Magazin Wirtschaftswoche, sei nur wenig Grundbesitz in der Region versichert. Zum anderen seien die ärmsten Landstriche in Süd-Asien betroffen und keine wesentlichen Hafen-, Energie- und Rohstoffanlagen oder Tanker zerstört worden.

Die "globale Reaktion" zeigt bis dato in erster Linie, wie selektiv der Westen das Elend einerseits und wie eigennützig er das Paradies andererseits ein- und ausblendet. So beharrlich wie bisher die politisch erzeugte Armut in den Regionen und die soziale Dimension der Katastrophe entlang der paradiesischen Traumstrände ignoriert wurden, dienen sie in den "Geberländern" nun gerne der Selbstdarstellung. Gegenüber dem militärisch-technischen Komplex internationaler Hilfseinsätze findet die Hilfeleistung durch die betroffenen Länder selbst und die lokalen Organisationen nur marginal Erwähnung. Und die "globale Solidarität" wird von interessengeleiteten Wiederaufbauszenarien begleitet. Gerade die Tourismusindustrie versucht, die Notlage zu nutzen und die recht umstrittene Idee einer "Armutsbekämpfung durch Tourismusentwicklung" salonfähig zu machen. Der Aufbau tourismusbezogener Infrastruktur, ob privater oder öffentlicher, solle von der internationalen Gebergemeinschaft nicht vergessen werden, so der Direktor der Welttourismusorganisation am 4. Januar, denn sie biete für die Küstenbevölkerung die Chance, Arbeitsplätze und Lebensunterhalt wiederzugewinnen und zum normalen Leben zurückzufinden.

Die WTO mahnt vor unnötigen Reisewarnungen, denn ausbleibende Devisen würden die ohnehin betroffenen Länder nur umso härter treffen. Um in der nächsten Presserklärung zu verkünden, warum keine Krise des Tourismus zu befürchten sei - und ein sicheres Klima für touristische Investitionen herbeizureden. Geoffrey Lipman, Präsident des International Council of Tourism Partners (ICTP), meint, nur drei Prozent des weltweiten Tourismus sei überhaupt betroffen und lanciert die Kampagne "Come back to the Indian Ocean". Während manche TouristInnen glauben, durch ihre bloße Anwesenheit Hilfe für die Hilflosen zu leisten, andere wegen und wieder andere trotz der Katastrophe vor Ort bleiben oder ins Land reisen, propagieren die nationalen Tourismusministerien, dass die meisten Regionen "völlig intakt" seien und rufen Reisenden wie Investoren ein "danke, dass sie kommen" (Die ZEIT) entgegen. Manche westliche Reiseveranstalter verstehen es als Solidarität, ihr Programm wieder aufgenommen oder erst gar nicht ausgesetzt zu haben. Tourismusmanager sprechen gar von einer Chance für Sri Lanka - touristische Investitionen stehen nicht länger unter dem Verdacht reiner Profitgier, sondern werden als moralisch gebotene Hilfe propagiert. Die touristischen Akteure geben sich unerschrocken und einig gegen die Sintflut im Paradies.

Der touristische Nachrichtenverteiler eTurboNews berichtet, es sei trotz der vielen verunglückten Fischerboote kein einziger Fall einer zerstörten Segeljacht bekannt. Diese nur zynisch lesbare Meldung symbolisiert, was für die Versorgung nach der Katastrophe umso mehr gilt: Die in Armut lebenden Menschen werden von den Folgen der Naturgewalten in aller Regel härter getroffen als die Reichen. Ersten Schätzungen der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) zufolge droht infolge der Flutschäden weiteren zwei Millionen Menschen die absolute Armut. Während auf den Maldiven 63 der insgesamt 78 Ressorts unbeschädigt davongekommen sind, wurden über die Hälfte der Wohnhäuser der Malidivianer beschädigt. Nun droht hier laut ADB weiteren 50 Prozent der Bevölkerung die absolute Armut.

Angefangen vom Umgang mit Flutwarnungen noch vor der Katastrophe bis hin zu den Wiederaufbauszenarien ist der Tourismus auf eine Weise in das Geschehen involviert, die soziale Spaltungen und Nachteile gerade für die ärmeren Bevölkerungsschichten offensichtlich verstärkt.

Am 26. Dezember sollen Mitarbeiter der Tourismusbehörde in Thailand die Tsunami Warnungen nicht erst genommen haben. Ihr Schweigen - auch aus Angst vor politischem Druck - ist das Resultat ökonomischen Kalküls. Schließlich stand Thailands Ruf als internationales TouristInnenparadies auf dem Spiel und da scheint, so lehrt es die jüngste Vergangenheit, Premier Thaksin nicht zu spaßen. Vor zwei Jahren erst hatte er Meteorologen vorgehalten, die Tourismusbranche unnötig zu verschrecken, als ein Beben geringerer Stärke gemeldet wurde. Sumalee Prachuab, Leiter des nationalen Seismologischen Instituts in Thailand, berichtete der FAZ von massiven Beschwerden der Tourismusbehörde vor fünf Jahren, nachdem das staatliche Wetteramt eine Warnung vor einer möglichen Flutwelle nach einem Erdbeben bei Papua-Neuguinea herausgegeben hatte. Und als Smith Tumsaroch vor sieben Jahren vor einem Erdbeben und der Möglichkeit eines Tsunami in der Bucht von Bengalen gewarnt hatte, wurde der damalige Leiter der Meteorologischen Station Thailands mit dem Vorwurf konfrontiert, TouistInnen und Investoren zu verschrecken - und verlor seinen Posten. Jetzt, da der Tourismus mitbetroffen ist, hat Premier Thakin ihn zum Chefmeteorologen gemacht und mit dem Aufbau des nationalen Warnsystems betreut.

Von unterlassenen Frühwarnungen einmal abgesehen wird auch das soziale Ausmaß der Naturkatastrophe nicht zuletzt durch den Tourismus deutlich. Die Hilfe konzentrierte sich kurz nach der Flutwelle auffällig auf die touristischen Zentren, während stark betroffene, jedoch touristisch kaum erschlossene Gebiete oft tagelang von Hilfeleistungen ausgeschlossen blieben. Die wenigen Überlebenden des 2000 Familien zählenden Dorfes Ban Nam Khem an der thailändischen Küste berichteten der Bangkok Post, aufgrund fehlender Hilfe seien viele an den Folgen der Flut gestorben. Ähnliche Klagen kamen von Überlebenden auf den indischen Andamanen, die nach tagelangem Warten die Verwaltungsgebäude überfielen, um an Lebensmittel zu gelangen. Auch in Thap Lamu, nur drei Kilometer vom touristischen Zentrum Khao Lak entfernt, beklagt die ehemals 600 Familien zählende Fischergemeinde unterlassene Hilfeleistungen. Ihre 100 Fischerboote, mit denen sie mit einer jährlichen Fangquote von rund zehn Millionen Kilogramm Fisch ihre eigene Existenz, aber auch die Versorgung der Dörfer im Hinterland sicherstellen, sind nun größtenteils verloren - Kleinkredite für die verbleibenden Fischer zur Restauration ihrer Boote sind nicht in Sicht. Die Subsistenzfischerei wird als ökonomisch riskant eingestuft und steht im Schatten touristischer Aufbauszenarien. Die Bevorzugung des als Devisenbringer bezeichneten Tourismus gegenüber lokalen Subsistenzökonomien ist nicht neu, doch werden nach der Flutkatastrophe die sozialen Konsequenzen dieser Politik offensichtlich und vertiefen die Spaltung der Gesellschaft.

Dabei verdrängt die aktuelle Tourismusdebatte, dass Tourismus für die Verwundbarkeit der betroffenen Regionen mitverantwortlich ist. Die dichte Besiedlung mancher Küstenorte ist eine direkte Folge touristischer Entwicklung. So stehen die ersten 100 Meter Küstenstreifen in Sri Lanka und die ersten 500 Meter im indischen Tamil Nadu eigentlich unter Küstenschutz und Genehmigungen zur Bebauung wurden insbesondere wegen des Tourismus großzügig erteilt. Arbeitskräfte migrieren in die touristischen Badeparadiese, so etwa in Thailand und auf den Malediven. Anderenorts haben KüstenbewohnerInnen ihr Land für Hotelanlagen und Golfplätze verlassen müssen und leben an teils entlegenen Orten, deren BewohnerInnen jetzt beklagten, nur zeitrangig oder zu spät und zu wenig Hilfe erhalten zu haben. Auch an der Zerstörung der schützenden Korallenriffe und Mangrovenzone ist der Tourismus nicht unbeteiligt.

Informationen des Mangrove Action Projects (Map) zufolge - einem Netzwerk mit 400 NGOs und über 250 Wissenschaftlern aus 60 Ländern - säumten Mangroven ehemals 75 Prozent der Küstenlinie in tropischen und subtropischen Regionen. Sie gelten als Schutzschild gegen Flutwellen und Stürme. Fünfzig Prozent der Mangroven vor Thailand verschwanden zwischen 1975 und 1993, in Indien wurde bereits zwischen 1963 und 1977 über die Hälfte der Mangroven zerstört. Berichten der Bangkok Post zufolge sind im Laufe der letzten fünf Jahre Korallenriffe und Mangroven entlang der jetzt besonders betroffener Andaman Küste Thailands, insbesondere in Phuket, Phangnga und Krabi, aufgrund der wachsenden touristischen Infrastruktur und der Shrimpsfarmen fast völlig vernichtet worden.

Zwar haben die meisten asiatischen Ländern strenge Umweltgesetze zum Schutz der Küsten. Zyklone und Flutwellen sind, wenngleich in geringerem Ausmaß, ein weithin bekanntes Naturphänomen und Vorsichtsmaßnahmen keine Ausnahme. M.S. Swaminathan, Indiens Vorzeige-Landwirtschaftsexperten, und Devinder Scharma, Experte für Überlebensökonomie zufolge, werden die Gesetze insbesondere von der Tourismus- und Aquakulturindustrie ignoriert. Durch sie sei eine enorme Fläche von Stränden, Brackwasser- und Gezeitenzonen besiedelt, umgestaltet oder völlig zerstört worden.

Ungeachtet dieser Tatsachen setzt die Tourismusdebatte all jene Irrtümer bezüglich ihres entwicklungspolitischen Potenzials erneut in die Welt, die auch vor der Katastrophe schon galten. Die erhofften einkommenschaffenden Effekte des Tourismus sind angesichts der hohen Ausgaben für die touristische Infrastruktur und den Import von Luxusgütern überzogen. Die Infrastuktur-Kosten für die Schaffung eines Arbeitsplatzes im Tourismus liegen weit über denen anderer Beschäftigungsformen. Dass viele informelle Tätigkeiten und kleine UnternehmerInnen jetzt in den Krisenregionen unter dem Ausbleiben der TouristInnen leiden, ist schlimm und Ausdruck ihrer prekären Lage. Die enorme Krisenanfälligkeit des Tourismus wird im Verhalten des globalen touristischen Marktes besonders deutlich: Nicht betroffene Destinationen im indischen Ozean locken mit überraschenden Wachstumszahlen in der Hoffnung, den Anteil der doch zögerlichen Urlauber und Veranstalter an ihre Traumstrände zu ziehen, solange eine Reisestornierung aufgrund der Ausnahmesituation juristisch einklagbar ist und damit ein Umbuchen wahrscheinlich. Sonne, Sand und Palmen - und damit alle Länder, die dieses Setting glaubhaft bieten können, treten weltweit in Konkurrenz zueinander. Aus lokaler Sicht sind Investitionen somit ein großes Risiko.

Dennoch beansprucht die Tourismusindustrie, nachdem und obwohl auch viele Urlauber in den Fluten umkamen, für sich eine Vorreiterrolle beim Wiederaufbau. Keines der Länder fordert eine Studie über Verwundbarkeit und soziale Auswirkungen durch touristische Entwicklung und auch die WTO ist an einer solchen Analyse nicht interessiert. Bisher war der Terrorismus entsprechend der Agenda des Weltgeschehens das prioritäre Feld, an dem sich die touristischen Konferenzen abgearbeitet haben - und Tourismus als Friedensbringer gerade für Länder wie Afghanistan, Irak und Palästina inszenierten. Sieht ganz danach aus, dass sich zum "peace through tourism" Rezept und der Idee vom "Tourismus gegen den Terror" nun die "Katastrophenhilfe durch Tourismus" gesellt. Das Trumpfen mit Zahlen und die noch nie da gewesenen Menge an Bildern des Grauens und der Gewalt werden offensichtlich von einer neuen Welle der Ignoranz seitens der Tourismusbranche überboten. Selbst der voyeuristische Konsum des Schreckens wird in den Dienst der Rettung des Paradiesimages gestellt.

Martina Backes / FernWeh / 17.1.2005

 

 

 
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