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"The river is my office"

Dreharbeiten für einen Dokumentarfilm über die Beschäftigten im Abenteuertourismus

Über hundert Meter tief stürzt sich der Sambesi, der Grenzfluss zwischen Sambia und Zimbabwe, an den Victoria Falls in die Batoka-Schlucht. Die Wasserfälle, deren "Entdeckung" durch den Missionar David Livingstone sich in diesem Jahr zum 150. Mal jährt, sind die touristische Hauptattraktion der Region. Livingstone Town, die nahgelegene ehemalige Kolonialhauptstadt Nord-Rhodesiens, des heutigen Sambias, hat sich in den letzten Jahren mit dem Angebot von Aktivitäten wie Wildwasserrafting, Bungee Jumping oder Elefantenreiten zur selbsternannten "World's Adventure Capital" entwickelt.

Grund genug für drei MitarbeiterInnen von FernWeh - Forum Tourismus & Kritik im iz3w, in Livingstone die Begegnungen zwischen "TouristInnen" und "Einheimischen" etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Oder besser gesagt unter die Linse, denn FernWeh drehte einen Dokumentarfilm über die postkolonialen Verknüpfungen von Tourismus und Migration. Hier nun einige Momentaufnahmen, sozusagen als Hors d'oeuvre zum Film, der Anfang 2006 fertig sein wird.

 

 

Wildwasser-Rafting: "Welcome to the mighty Zambesi! This is Rapid No 5 'Stairway to heaven' or for some 'Highway to hell' the second major rapid of the day. And remember: Don't scream under water because we can't hear you!" Pajero, der Video-Kayakfahrer, textet neben dem tosenden Wasser in die laufende Kamera.


"Go hard or go home", hat er auf seine Schwimmweste geschrieben. Als Zimbabwer bekommt er derzeit nur bei einem sambischen Unternehmen Arbeit, denn in der ehemaligen Touristenhochburg VicFalls Town in "Zim" bleiben die Kunden aus. Um das tägliche Stempeln beim Grenzübertritt zu vermeiden, ist Einfallsreichtum gefragt, denn der Pass ist schnell voll und die Neubeschaffung schwierig und kostspielig. Also klettert er von der Zim-Seite in die Schlucht und stößt bei der zweiten Stromschnelle zum Rafting-Trip dazu. An den wildesten Stellen steigt er aus und filmt jedes Boot, damit sich alle KundInnen abends auf dem Video wieder finden können. Während sie bis Rapid No 23 fahren, ist für Pajero nach No 18 Schluss - dem Schluchtausstieg auf der Zimbabwe-Seite. Ab jetzt bleiben ihm genau zwei Stunden, um in VicFalls das Video verkaufsfertig zu machen. Vorspann, Firmenlogo, Musik und die "Highlights of the day" gruppiert er routiniert um die Raftingszenen, radelt dann mit fertiger DVD los und übergibt sie an die Grenze einem Fahrer, der sie rechtzeitig zur abendlichen Show an die "Waterfront", also die Rafting-Basis bringt. Pajero verzichtet darauf und vermeidet so den legalen Grenzübertritt: "Ich habe nur noch fünf Seiten in meinem Pass. Die brauche ich irgendwann für Australien - oder für Europa."


 

 

Helga und Samuel aus Koblenz:
Eine Reisegruppe von 40 Personen sorgt für Stimmung in der Backpackers Lodge.Beim gemeinsamen südafrikanischen Braai, das von den Köchen der Lodge im Innenhof zubereitet wird, kommt man ins Gespräch.


Als wir sagen, dass wir aus Deutschland kommen, sind Helga und Samuel interessiert. Zuallererst wollen sie wissen, was wir denn über die Entschädigungsforderungen denken. Sie selber seien nämlich Hereros aus dem Ort Koblenz in Namibia und mit einer Gruppe LehrerInnen auf Betriebsausflug. Sie haben für ein verlängertes Wochenende die 14-stündige Reise aus dem Nachbarland auf sich genommen, um die Victoria Falls zu sehen.

 

 

In der Fawlty Towers Lodge: "Da ist ein Besucher für Euch, er wartet vor dem Tor!" Simon, den wir am Vortag an den Wasserfällen kennerlernten, möchte mit uns reden. Wir sagen Charles, dem Wachposten der Lodge, er möge doch reinkommen.


Charles meint, wir sollten uns lieber draußen vor dem Tor mit ihm unterhalten. Wenn er Simon hineinlasse, bekäme er Probleme, so Charles freundlich, aber bestimmt. Wer nicht Gast und dazu schwarz ist, der bleibt draußen? Kann aber nicht sein, denn gerade haben wir mit Vincent am Pool der Lodge ein Interview gemacht. Vincent, der so wie Simon aus einem Dorf in der Nähe von Livingstone kommt, arbeitet für zwei Monate im Jahr als hoch angesehener Raftguide am Zambesi - den Rest des Jahres als Postbote in Holland. Sein Einlass: kein Problem, ganz ohne Nachfrage.

 

 

Kreuzfahrt auf dem Sambesi: Seit gut acht Wochen sei er nun in diesem Land, der Heimat seiner Frau. Das sei jetzt das erste Mal, dass er ein Nilpferd schnaufen höre. Seit seiner Landung in Lusaka habe er kein Wort deutsch gesprochen.


Georg bewegt sich schüchtern, ist weiß und viel älter, Miriam schwarz, gesprächig und schick gekleidet. Er kommt aus Wien, sie aus einem kleinen Dorf südlich von Lusaka. Nun ihre erste gemeinsame Urlaubsreise, inklusive zweistündiger Sonnenuntergangsfahrt auf dem Ausflugsdampfer. Über sechs Wochen habe er zuvor im Dorf ihrer Familie gelebt, alle möglichen Ängste ausgestanden, traditionell geheiratet, habe sich extrem glücklich gefühlt und auch extrem verzweifelt und alleine; trotz aller Reisevorbereitung sei er nicht vorbereitet gewesen auf "solche" Verhältnisse. Die Armut, der Mut, die Herzlichkeit der Familie, dieses einfache Leben. Die hätten ja nichts, auch keine Perspektive. Aber erfinderisch seien die, haben Talent. Es sei extrem wichtig, die Verhältnisse aus eigener Erfahrung zu kennen, auch um mögliche Tiefs und künftige Krisen seiner Frau besser verstehen zu können - in so einer "kulturfremden Lebenslage". Das sei sein Beitrag in Hinblick auf eine gemeinsame Zukunft, in der so manche Hürde noch kommen und genommen werden müsse. Das wisse er von seinen Kumpels, alle im IT Bereich tätig, fast alle mit Afrikanerinnen liiert. Nächsten Monat wird dann in Wien geheiratet, erst amtlich, dann kirchlich. Dreifach ist besser, die Kraft des Rituals. Dann sie: Ja, selbstverständlich sei sie schon in Wien gewesen, für drei Wochen. War prima, soweit keine Probleme, ganz wenige Schwarze, aber freundliche und zuvorkommende Wiener. Zukunftspläne? Ja sicher, auf alle Fälle erst Intensivsprachkurs. Dann Ausbildung, vielleicht Sekretärin, Jobsuche, auf keinen Fall nur Haushalt. Wo sie sich denn kennen gelernt hätten. Er habe sie eingeladen, antwortet er. Kein billiger Zufall, lange Briefe, viele Mails, das Ganze geplant und mit Bedacht ausgewählt. Eine Internetbekanntschaft.

 

 

Vic Falls Bridge: Auf der Grenzbrücke zwischen Zambia und Zimbabwe herrscht reger Verkehr. Frauen tragen in vollgepackten Taschen alle möglichen Waren von Zimbabwe nach Zambia, um sie dort gewinnbringend zu verkaufen; einige Overland Trucks auf der Strecke Cape Town - Nairobi passieren die Grenze...


... TouristInnen fotografieren die Raftingboote, die unten in der Schlucht vorbeitreiben, ab und zu rumpelt ein Güterzug über die Brücke. Der Schlagbaum geht unentwegt rauf und runter. Mitten auf der Brücke befindet sich die Absprungplattform für VicFalls Bungy. "Mit einhundertundelf Metern Höhe der zweithöchste Bungy Jump der Welt. Der höchste ist in Südafrika", erzählt Warren, ein gebürtiger weißer Zimbabwer, der für ein paar Sprünge pro Woche beim Bungy Jumping Unternehmen mitarbeitet. Er bereitet sich gerade darauf vor den Weltrekord zu brechen - um dann im Guiness-Buch eingetragen zu werden. Mehr als 101 Mal an einem Tag will er sich von der Brücke stürzen. "Der menschliche Körper ist eigentlich nicht dafür gemacht, so etwas auszuhalten, aber mit viel Schokolade gegen den Adrenalin Crash, Tabletten gegen Reisekrankheit und ein wenig Schmerzmitteln sollte das schon klappen."

 

 

Bovu Island: Auf der Pritsche eines Pickups, eingekeilt zwischen unseren Rucksäcken und den Einkäufen für das Wochenende, lassen wir uns von Brad, dem Althippie, kreuz und quer durch Livingstone fahren. Ein junger Engländer steigt beim Jollyboys Backpackers zu und hat wegen der Verspätung schlechte Laune.


"Es gibt in der ganzen Stadt keine Coca Cola", sagt Brad in leicht entschuldigendendem Ton. Schließlich, und weil der Cola-Mangel nicht zu beheben ist, fahren wir los Richtung Bovu Island, einer Insel im Sambesi, auf der Brad eine Backpacker-Lodge eingerichtet hat, deren Ruf in der Stadt die Runde macht. Eine Note von "Real Africa" haftet diesen Gerüchten an. Kurz vor der Grenze nach Botswana geht es auf einer Sand-Piste zum Fluss. Etwas hinter einem kleinen Dorf setzt Brad uns ab. "Hier könnt ihr jetzt in den Einbaum umsteigen. Das Gepäck wird dann direkt zur Insel gebracht." Und setzt dann zu: "Eigentlich hättet ihr das Dorf da vorn gar nicht sehen sollen, sondern nur die Buschlandschaft." Am Ufer wartet bereits der Einbaum-Gondoliere. Er paddelt uns einige hundert Meter lang durch die Flusslandschaft - wie seinerzeit Dr. David Livingstone höchstpersönlich. Kurz vor der Insel kommen uns einige Einbäume mit johlenden, biertrinkenden TouristInnen entgegen: die Sunset Cruise! Nach dem wildromantischen Ausstieg am Strand und dem Willkommensbier zeigt uns Henriette, die "local" Managerin, die Insel und erklärt die Regelungen des Tagesablaufs. Bovu hat, das wird uns unmissverständlich klar, ganz eigene Regeln. Das Management betreiben drei junge Frauen aus den Nachbardörfern, alle mit Hotelfachausbildung. Die Insel, die auch als Kulisse für den Film "The Beach" hätte dienen können, ist perfekt organisiert: man hat die Wahl zwischen Vollverpflegung oder Selbstversorgung, für Touren trägt man sich in ein Tourenbuch ein, es gibt eine Bibliothek und Strohhütten mit Spülklosetts -alles äußerst stilvoll. An der Bar ist Selbstbedienung mit Strichliste angesagt. "Alle sollen in die Organisation des gemeinsamen Aufenthalts einbezogen werden", sagt Brad. Die Rechnung geht auf. Abends herrscht Partystimmung. Eine Gruppe Engländerinnen tanzt auf der Bar, während ein paar US-amerikanische Manager sich dahinter gepflegt betrinken. Irgendjemand stellt auf dem solarbetriebenen Laptop den Musikmix zusammen. Zu den Klängen von Michael Jackson und Britney Spears erzählt Brad, der in Sambia geborene Weiße, schauerliche Krokodilgeschichten. Auch kann er zu jedem Herkunftsland der Gäste eine eigene Reiseerfahrung beisteuern. Dazu reicht er selbstgeernteten Tabak herum und weiht die Anwesenden in die Geheimnisse der Energieakkumulation auf der Insel ein, die unter anderem dazu führe, dass die Bäume höher sind als auf anderen Inseln. Für gute Laune sorgt die variationsreiche Hütesammlung, aus der alle Gäste ein extravagantes Exemplar aufgesetzt bekommen. Irgendwann wankt man dann über Fackel erleuchtete Sandwege und unter dem Sternenhimmel des Südens ins Zelt. Die Dorfbesichtigung und den Besuch des Gospelchors am nächsten Morgen bleibt dann auch denjenigen vorbehalten, die die Getränkeliste unter Kontrolle behielten. Für die anderen bleibt die Sonnenuntergangsfahrt und der Rücktransport nach Livingstone. Letzterer führt zuallererst direkt ins Büro, in dem die verschiedenen Listen bereits per Fax eingetroffen sind. Zahltag! Immerhin die Insel war kapitalismusfrei.

 

 

Livingstones Erben: Seit der Ankunft von Mr. Livingstone hat sich am Sambesi einiges verändert. Die Reisebranche hindert das nicht, in der Kampagne "Livingstone's footsteps" mit dem Entdeckergefühl der "guten alten Kolonialzeit" zu werben.


Wie damals stehen der Lebensstil der TouristInnen und die beträchtlichen Summen, die sie für ihr adrenalinverheißendes Freizeitvergnügen ausgeben, in krassem Kontrast zu den Lebensrealitäten derjenigen, die das Vergnügen erst ermöglichen. Die touristische Entwicklung des Ortes schreibt koloniale Bilder und Stereotype fort, die auch die Begegnungen der TouristInnen mit den lokalen Angestellten strukturieren. Dazu gehört beispielsweise das Kolonialstil-Setting der "Waterfront", einem Hotelkomplex mit Zelmöglichkeit in Campfire-Atmosphäre, oder "African Queen" - das Kreuzschiff für die täglichen Spazierfahrten auf dem Fluss in Sonnenuntergangsstimmung. Oder auch die Beziehung des 19-jährigen südafrikanischen Kajakfahrers zu seinem "eigenen, persönlichen" Bootsträger. Brüchig wird dieses Verhältnis jedoch für diejenigen, die über Internet-Heirat oder durch den erarbeiteten Aufstieg in der touristischen Hierarchie einen Zugang zum globalisierten Milieu der TouristInnen und der Raftguide- und Kajakszene gefunden haben, was ihnen ein anderes Verhältnis zu den TouristInnen als auch Möglichkeiten des Reisens oder der Migration eröffnet. So haben beispielsweise einige Raft- oder Gorge Swing Guides bereits in Holland, Deutschland, den USA oder der Schweiz gearbeitet und teilen ihre Zeit zwischen den verschiedenen Ländern, in denen sie leben und arbeiten, auf. Die Brüche und Widersprüchlichkeiten der Zuschreibungen "TouristIn", "EinheimischeR" "MigrantIn" sorgten immer wieder für Überraschungen.

Aus den vielen Geschichtssträngen gilt es nun, die Dramaturgie des Dokumentarfilms herauszuarbeiten. Dazu müssen über 30 Stunden Rohmaterial gesichtet, ausgewählt und verdichtet werden. Mit dem Film "Livingstones Erben" ergänzt FernWeh die beiden bislang produzierten Kurzfilme um ein längeres Format. Mehr Infos zu "When I grow up, I want to be a Tourist" (Gambia 2005) und "Survive Berlin" (Deutschland 2005) auf www.iz3w.org.


FernWeh
Oktober 2005

 

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