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Bosnien: Weniger Nationalismus und ein Erlass

Der 2. Oktober war ein Superwahltag in Bosnien und Herzegowina. Auf gesamtstaatlicher Ebene wurde das Parlament und die Präsidentschaft gewählt, zudem die Parlamente der beiden Landesteile und kantonale Versammlungen. Für Schlagzeilen sorgte dann jedoch ein Politiker, der gar nicht zur Wahl stand.

von Larissa Schober

Bosnien und Herzegowina ist kompliziert und Wahlen dort sind es auch. Für die Wahl am Sonntag mussten sich Wähler*innen durch vier Stimmzettel mit hunderten Namen von Kandidat*innen wühlen. Überall in Bosnien wurden die Abgeordneten der Nationalversammlung sowie die dreiköpfige Präsidentschaft gewählt. Hinzu kamen die Parlamente der beiden Landesteile (Entitäten), der Föderation Bosnien und Herzegowina (FBiH) und der Republika Srpska (RS). In der FBiH wurden außerdem die Mitglieder der kantonalen Versammlungen gewählt; in der RS der Präsident und Vizepräsident auf Entitätsebene.

Bei einer wie üblich geringen Wahlbeteiligung von nur 50 Prozent war nicht unbedingt mit großen Überraschungen zu rechnen gewesen. Bosnien verfügt über einen extrem komplizierten Staatsaufbau, der fast durchgängig entlang ethnischer Kriterien ausgerichtet ist. Dieser Aufbau ist extrem anfällig für Blockaden und begünstigt ethno-nationalistische Parteien (iz3w 369). Drei dieser Parteien dominieren die bosnische Politik seit Ende des Bosnienkrieges vor nunmehr 27 Jahren. Die serbische Allianz der Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD), die bosniakische Partei der Demokratischen Aktion (SDA) sowie die Kroatische Demokratische Union (HDZ). Nach den vorläufigen Auszählungen sicherten sich diese Parteien auch wieder die meisten Sitze in der Nationalversammlung, an der Sitzverteilung hat sich im Vergleich zu den Wahlen 2018 kaum etwas geändert.

Wenig geändert hat sich auch am langwierigen Auszählungsprozess – die offiziellen Ergebnisse werden vermutlich erst Wochen nach den Wahlen vorliegen. Adnan Huskić, Analyst bei dem bosnischen Wahlbeobachtungs-Think Tank Centre for Election Studies, kritisierte dies gegenüber dem Recherchenetzwerk Balkan Insight und wies auf zahlreiche Unregelmäßigkeiten während der Wahl hin: »Wir haben ein riesiges Problem mit der Integrität des Wahlprozesses. Das hinterlässt einen bitteren Beigeschmack, der sich auf alles andere auswirkt.« Die Zentrale Wahlkommission (CEC) war mit dem Ablauf der Wahlen jedoch insgesamt zufrieden und betonte in einer Erklärung vom 3. Oktober, die »eindeutigen Verbesserungen im Vergleich zu vorangegangenen Wahlzyklen«.

Nationalismus im Abschwung

Bald zeichneten sich jedoch klare Ergebnisse der Wahl zum Staatspräsidium ab. Sie können als positive Überraschung gelten. Das neue Präsidium besteht nun aus dem Kroaten Željko Komšić von der Demokratischen Front, dem Bosniaken Denis Bećirević von der Sozialdemokratischen Partei und der Serbin Željka Cvijanović von der SNSD. Sowohl Komšić als auch Bećirević gelten als bürgerliche Mitte-Links-Politiker und gehören einer neuen Generation an, die sich gegen ethno-nationalistische Politik wendet. Komšić war bereits mehrmals in das Präsidium gewählt worden, zuletzt 2018. Bećirević setzte sich als Kandidat eines breiten Parteienbündnisses gegen den Vorsitzenden der bosniakisch-nationalistischen SDA, Bakir Izetbegović, durch. Izetbegović, Sohn des Parteigründers und ersten Präsidenten Bosnien und Herzgeowinas, Alija Izetbegović, gilt damit als Verlierer der Wahl.

Unerwartet knapp wurde es auch für den führenden serbischen Ultranationalisten Milorad Dodik von der SNSD. Nach einer Amtszeit im gesamtstaatlichen Präsidium hatte er überraschenderweise nicht mehr für dieses kandidiert, sondern für das Amt des Präsidenten der Republika Srpska, welches er bereits von 2010 bis 2018 innehatte. So hat er mit Cvijanović den Posten getauscht, die 2018 die Präsidentschaft in der Republika übernommen hatte. Der Postenschacher verweist auf die politische Stagnation und den nationalistischen Klüngel in Bosnien. Dem wurde für Dodik fast ein Ende gesetzt, er konnte das Rennen um die Präsidentschaft in der Republika gegen die Oppositionelle Jelena Trivić voraussichtlich nur knapp gewinnen. Zu Redaktionsschluss war das Ergebnis jedoch umstritten: Eine Woche nach der Wahl demonstrierten in Banja Luka 10 000 Anhänger*innen von Trivić gegen einen angeblichen Wahlbetrug Dodiks.

Anders als viele deutschsprachige Medien getitelt haben, lässt sich aus den Wahlergebnissen nicht wirklich eine Abkehr der bosnischen Wähler*innen von der nationalistischen Klientelpolitik, die den Staat seit Ende des Krieges prägt, herauslesen. Etablierte nationalistische Politiker*innen erhielten jedoch zumindest einen Denkzettel – und das ist nicht wenig für die Verhältnisse in Bosnien.

Oh, ein neues Wahlgesetz

Diese Entwicklung wurde jedoch von einer anderen Meldung überschattet: Kaum hatten die Wahllokale geschlossen, veröffentlichte das Büro des Hohen Repräsentanten (OHR) Christian Schmidt zwei Dekrete, mit denen Änderungen am Wahlgesetz der FBiH vorgenommen wurden – während die Stimmauszählung lief. Der ehemalige deutsche Landwirtschaftsminister Schmidt (CSU) hat als Hoher Repräsentant nach dem Friedensabkommen von Dayton (1995) unter anderem die Vollmacht, Gesetze zu erlassen. Bereits im Sommer hatte es die Debatte um eine, durchaus nötige, bosnische Wahlrechtsreform in die internationalen Medien geschafft. Ein Grund der Aufmerksamkeit war, dass Schmidt vor laufender Kamera einen Wutanfall bekommen hatte.

Die nun verfügte Reform betrifft die zweite Kammer des Parlaments der FBiH, genannt Haus der Völker. Die Abgeordneten werden nicht direkt gewählt, sondern nach einem festgelegten Schlüssel aus den zehn Kantonen der FBiH entsandt. Das Prinzip ist damit ähnlich dem des deutschen Bundesrates, aber nicht nach territorialem, sondern nach ethnischem Proporz. Im Sommer wurde ein Non-Paper geleakt, nach welchem Schmidt neben wichtigen technischen Änderungen am Wahlprozess auch eine Frist für die Bildung einer Regierung sowie eine Klausel, die den ethnischen Proporz betrifft, plane. Letzterer sah vor, dass nur noch Kantone, in den mindestens drei Prozent der Bevölkerung einer Ethnie leben, ein*e Vertreter*in für diese Ethnie entsenden dürfen. Damit wäre eine langjährige Forderung der kroatischen HDZ erfüllt worden, die damit verhindern wollte, dass bosniakische Wähler*innen gemäßigte kroatische Kandidat*innen wählen, anstatt für bosniakische Vertreter*innen zu stimmen.

Nach Straßenprotesten in Bosnien im August sowie Kritik der Internationalen Gemeinschaft wurden schließlich nur technische Änderungen vorgenommen, die den Wahlprozess am 2. Oktober erleichtern sollten. Der Rest der Reform wurde auf Eis gelegt. Dass das Wahlgesetz reformiert werden muss, steht außer Frage – das jetzige ist extrem anfällig für Blockaden, so ist etwa die Regierung der FBiH seit Jahren nur geschäftsführend im Amt, weil keine neue Regierung gebildet werden konnte. Über das Wie scheiden sich die Geister. Die internationale Kritik entzündete sich aber weniger am Inhalt als vielmehr am Zeitpunkt der Reform, der zu nah an den nächsten Wahlen lag und dadurch einen Eingriff in den Wahlkampf hätte darstellen können.

So geht es auch nicht

In den jetzt erlassenen Änderungen des Wahlgesetzes sowie der Verfassung der FBiH kommt eine Drei-Prozent-Klausel nicht mehr vor. Stattdessen wurde die Zahl der Abgeordneten im Haus der Völker erhöht. Für serbische, kroatische und bosniakische Abgeordnete sind nun jeweils 23 statt 17 Sitze reserviert, Vertreter*innen ‚anderer Minderheiten‘ erhalten 11 statt 7 Sitze. Damit wird die HDZ leicht bevorzugt, jedoch nicht in dem Maße, wie es mit der im Sommer geplanten Klausel vermutlich der Fall gewesen wäre.

Der Zeitpunkt für den Erlass erscheint jedoch kaum besser als im Sommer. Der Think Tank The International Crisis Group bemerkte Ende September, dass Änderungen des Wahlgesetzes nach den Wahlen als Parteinahme für die eine oder andere Seite gelesen werden könnten. Schmidt hat aus dieser Perspektive also den letztmöglichen Zeitpunkt gewählt, um die Reform zu erlassen – bevor die Stimmen ausgezählt sind. Dadurch, dass die betroffene Kammer in der FBiH indirekt gewählt wird, hat das Gesetz auf deren Zusammensetzung Einfluss, obwohl die Wahl bereits vorbei ist, denn die Abgeordneten werden in der Regel etwa einen Monat nach dem Wahltermin entsandt. Die Reform greift also retrospektiv in den Wahlprozess sein, was man nur als undemokratisch bezeichnen kann.

In einer Erklärung von Schmidt hieß es, dass die neuen Maßnahmen darauf abzielen, »die Funktionsfähigkeit der Föderation von Bosnien und Herzegowina zu verbessern und die rechtzeitige Umsetzung der Ergebnisse der Wahlen vom Oktober 2022 zu gewährleisten«. Das mag sein. Unabhängig von der Bewertung der Reformen ist der Zeitpunkt der Erlasse jedoch ein Schlag ins Gesicht der bosnischen Bevölkerung. Schmidt hätte den neugewählten Institutionen, in denen zumindest etwas Veränderung stattgefunden hat, die Chance geben können, einen Kompromiss auszuhandeln und erst, wenn dies erneut scheitert, sein Dekret erlassen können. Mit einer Entscheidung direkt am Wahlabend macht er sich weniger angreifbar, vermittelt den bosnischen Wähler*innen aber, dass ihre Wahl partiell irrelevant ist. Das Amt des Hohen Repräsentanten ist aus demokratischer Sicht immer problematisch. Schmidt hat es geschafft, diese Problematik gut sichtbar zuzuspitzen. Ob der bosnischen Bevölkerung damit geholfen ist, darf bezweifelt werden.

 

Larissa Schober ist Mitarbeiterin im iz3w.

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