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Sie sind hier: Startseite Zeitschrift Ausgaben 389 | Rackets & Bandenherrschaft Die Entzauberung der Deutschen

Die Entzauberung der Deutschen

Zu »multidirektionaler Erinnerung« und Holocaustgedenken: Die deutsche Übersetzung des bereits 2009 auf Englisch erschienen Buches »Multidirektionale Erinnerung« von Michael Rothberg hat im vergangenen Jahr eine rege Diskussion ausgelöst. In der iz3w diskutierten über postkoloniale Geschichtsbilder und die Shoa bisher Jörg Später (iz3w 387) und Felix Axster (iz3w 388).

von Larissa Schober

Die Heftigkeit, mit der Rothbergs Buch in Deutschland diskutiert wurde, hat mich überrascht. Von der Lektüre, die schon ein paar Jahre zurückliegt, war es mir weder als bahnbrechend noch sonderlich problematisch in Erinnerung geblieben. Auf den zweiten Blick überraschte es mich dann doch nicht, da es in der Debatte wenig um Rothbergs Buch selbst ging. Es war nur der Auslöser. Die teils polemische Debatte drehte sich um den Stand der deutschen Erinnerungskultur. Dabei ging es meiner Ansicht nach um das Verhältnis internationaler und deutscher Erinnerungskulturen, um jenes von Erinnern und Geschichte sowie immer wieder um akademisches Distinktionsbedürfnis und schließlich doch um das Verhältnis zu Israel.

Das angebliche Tabu

Ins Zentrum der Debatte wurde jedoch ein anderer Aspekt gestellt: Die Frage nach der Singularität der Shoa und danach, ob man sie mit anderen Genoziden vergleichen dürfe (zugespitzt in einem ZEIT-Artikel von Rothberg und Jürgen Zimmerer unter dem Titel »Enttabuisiert den Vergleich!«). Dabei ist die Antwort einfach: Man darf das, und in der Geschichtswissenschaft wie auch in den in Deutschland noch recht jungen, international aber etablierten Memory Studies wird das seit Jahren gemacht. Die heftigen Diskussionen um diese Frage sind meines Erachtens reine Spiegelfechterei.

In einigen Fällen, in denen behauptet wird, man dürfe nicht vergleichen, geht es weniger um den Vergleich an sich als um Israel und seine Politik heute. Das gilt auch für Rothberg. In seinem Buch setzt er sinnvoll verschiedene Gedenken zueinander in Beziehung und zeigt auf, wie Solidaritäten entstehen können. In dem ZEIT-Artikel behauptet er dann allerdings, dass ein »Verbot jedes Vergleichs und In-Beziehung-Setzens« der Shoa bestünde. In einem Artikel anlässlich des diesjährigen Holocaust-Gedenktages für die Johns Hopkins Universität schreibt er schließlich, dass das Beharren auf der Singularität der Shoa zu einer »weaponization of antisemitism« geführt habe. Diese Waffe werde nun gegen Israelkritiker*innen gerichtet. In solchen Fällen geht es nicht mehr ums Vergleichen und auch nicht um Erinnerungskultur.

Internationales Missverständnis

Geht man zurück zur eigentlichen Auseinandersetzung über Erinnerungskultur, findet man bald ein erstes Missverständnis: Im internationalen Kontext galt der deutsche Umgang mit dem Holocaust lange als vorbildlich. Das deutsche Wort Vergangenheitsbewältigung hat Eingang in die englischsprachige Forschung gefunden. Dabei war die Auseinandersetzung mit dem deutschen Umgang selten eine Kritische. Die häufig extrem positive Bezugnahme auf die deutsche Erinnerungskultur irritierte mich auch während meiner Forschung in England sehr: Im angelsächsischen Raum, aber auch in Israel, galt sie als Vorbild, gerade unter linken Historiker*innen. Und ja, von den frühen 2010er-Jahren aus betrachtet, hatte sich Deutschland mehr und auch kritischer mit der Shoa befasst als etwa Großbritannien mit seiner kolonialen Vergangenheit. Die problematischen Seiten der deutschen Erinnerungskultur fielen jedoch unter den Tisch.

Heute, wo die Verbrechen des Kolonialismus und der Sklaverei endlich mehr Aufmerksamkeit erhalten, ändert sich das. Es fällt immer häufiger auf, dass es in Deutschland vergangenheitspolitisch vielleicht doch nicht so rosig aussieht. Der Mythos wird entzaubert. Und Entzauberung tut immer etwas weh. Die Heftigkeit, mit der etwa Dirk A. Moses in seinem Text »Der Katechismus der Deutschen« die deutsche Auseinandersetzung mit der Shoa angreift, erklärt sich zu einem Teil aus diesem Missverständnis (sowohl er als auch Rothberg kommen aus der englischsprachigen Forschung) – und aus der erlebten Entzauberung.

Unter der unerträglichen Polemik von Moses Text liegen durchaus richtige Punkte begraben. So schreibt er: »Nachdem Deutschland nun nicht nur die gründlichste ‚Aufarbeitung der Geschichte in der Geschichte‘ hinter sich gebracht hat, sondern auch Juden und Jüdinnen ‚wiederbelebt‘ hat, kann es im Bewusstsein seiner Rolle als Leuchtturm der Zivilisation wieder stolz unter den anderen Nationen stehen.« Das ist eine durchaus treffende Kritik am ‚Aufarbeitungsweltmeister‘ Deutschland. Auch Rothberg und Zimmerer sprechen in ihrem Artikel einen ähnlichen Punkt an. Im deutschen Kontext ist das allerdings nichts Neues. Aktivist*innen und Forscher*innen kritisieren schon lange, dass die Shoa wunderbar selbstgerecht zu positiver deutscher Nationalgeschichte umgedeutet werden kann und wird. Es ist eine Kritik an dem, was Eike Geisel 1984 »Die Wiedergutwerdung der Deutschen« nannte.

Diese Stimmen wurden im internationalen Kontext bisher allerdings weniger wahrgenommen, deshalb ist die Kritik Moses dort für viele tatsächlich neu. Sie tut dort weh, weil sie die blinden Flecken des eigenen Denkens aufzeigt. Für jene, die sich schon lange an einer Kritik der deutschen Erinnerungskultur abarbeiten, ist der Text hingegen schmerzhaft, weil er ihre Bemühungen vollkommen ignoriert.

Opferkonkurrenz

Ein weiterer richtiger Punkt, den Rothberg, Zimmerer und Moses machen, ist, dass der Holocaust in einigen Fällen genutzt wird, um Debatten um deutsche Kolonialverbrechen abzuwehren oder Rassismus zu verharmlosen. Auch dass Antisemitismus immer wieder zum Problem ‚der Anderen‘, nämlich von Migrant*innen, stilisiert wird, muss problematisiert werden. Frustrierend ist dabei jedoch, dass alle drei nicht zwischen konservativen und progressiven Stimmen in der Debatte unterscheiden. Was die Welt oder die ZEIT schreiben, ist eben nicht alles, was zu dem Thema gesagt wird. Dadurch werden Fälle wie der völlig absurde Vorwurf der Verharmlosung von Antisemitismus, den der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak im Juni 2021 gegen die Publizistin Carolin Emcke erhob, nicht greifbar, weil alles in einen Topf geworfen wird.

Man kann durchaus auf der Singularität des Holocausts beharren, ohne ihn gegen Rassismus und/oder andere Genozide in Stellung zu bringen. Umgekehrt ist nicht jeder Versuch, Aufmerksamkeit für koloniale Gewaltverbrechen herzustellen, durch Schuldabwehr bezüglich der Shoa motiviert, wie Felix Axster in iz3w 388 richtig schreibt. Mit der Frontstellung wird die Chance vergeben, produktive und progressive Bündnisse einzugehen.

Neben diesen Punkten gibt es jedoch einiges an den Texten von Moses, Rothberg und Zimmerer, das schlicht falsch ist. Beide Texte fallen hinter Rothbergs Erkenntnis aus »Mulitdirektionale Erinnerung« zurück, nämlich dass Erinnerung kein Nullsummenspiel ist. Bei Rothberg und Zimmerer steht die Erinnerung an den Holocaust der Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte angeblich im Weg. Moses Text trieft von der Vorstellung, dass der Kampf gegen Rassismus und gegen Antisemitismus immer nur auf Kosten des je Anderen geführt werden kann. Diese Kritik setzt an der völlig falschen Stelle an: Wenn etwa im konservativen deutschen Feuilleton die Verantwortung Deutschlands für Kolonialverbrechen in Namibia geleugnet wird, dann kann die Erinnerung an den Holocaust nichts dafür. Das Problem ist der Rassismus der Schreibenden.

Was ist eigentlich ein Genozid?

Hinzu kommt bei Moses eine problematische Herangehensweise an Genozide. Er betrachtet sie unter dem Aspekt einer Sicherheitslogik – und argumentiert im Falle der Shoa, dass es aus Sicht der Nazis durchaus ‚Sinn‘ gemacht habe, Jüdinnen und Juden zu vernichten, da sie in deren Vorstellung eine Bedrohung für das deutsche Volk darstellten. Daraus schließt er dann, dass die Shoa nicht singulär war. Das ist ein zumindest seltsames Verständnis von Genoziden. Solche zeichnen sich gerade dadurch aus, dass es um Vernichtung geht. Menschen werden verfolgt und getötet, weil sie einer bestimmten Gruppe angehören. Natürlich steht hinter Massakern häufig die Wahnvorstellung, dass die verfolgte Gruppe eine Gefahr darstelle, egal ob in Ruanda, Srebrenica oder im Dritten Reich. Daraus ein ‚Sicherheitsbedürfnis‘ der Täter*innen zu machen, kommt einer Rechtfertigung der Taten nahe und ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer sämtlicher Genozide. Moses betrachtet Genozide aus der Perspektive der Sicherheitsforschung, die dafür wissenschaftlich schlicht nicht über die richtigen Instrumente verfügt. In seinem Fall führt der akademische Druck, stets neue Konzept zu entwickeln und anzuwenden, zu analytischer Blindheit.

Und jetzt?

In der aktuellen Debatte gibt es viele wichtige Aspekte, die es sich lohnen würde zu vertiefen. Felix Axster und Jörg Später haben bereits einige benannt und beide haben sich über den Tonfall der Debatte beschwert. Überall wird von »denunziatorischer Kritik« geschrieben, es ist schwierig, die wichtigen Punkte überhaupt zu sehen. Dass die Debatte so scharf geführt wird, hat neben inhaltlichen Differenzen auch viel mit Distinktionsbedürfnis zu tun. Polemik generiert Aufmerksamkeit. Letztendlich verstellt diese Polemik jedoch den Blick auf die Sache.

 

Larissa Schober ist Mitarbeiterin im iz3w.

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