Reggaetón als ‘politics of the body’
»Im Madison Square Garden auftreten. Reisen, Konzerte geben, etwas von der Welt sehen.« Solche Hoffnungen sind es, die junge kubanische Hip-Hop-KünstlerInnen dazu inspirieren, Musik zu machen. Der Sampler Malecón Buena Vista gibt ihnen die Chance, über Kuba hinaus bekannt zu werden. Viel mehr als die Titelworte hat diese Kompilation mit dem allbekannten Buena Vista Social Club nicht gemeinsam. Statt lateinamerikanisch-karibischer Folklore bestimmen Rap, Reggaetón und Hip-Hop den Sound. Diese neue Musik steht zugleich für einen gesellschaftlichen Wandel in Kuba. Denn auf den Tanzflächen herrscht keine klare Rollenverteilung mehr, sondern allgemeine Freiheit der Tanzenden. Ein Phänomen, das der Musikwissenschaftler Geoffrey Baker in seiner Publikation über die junge Musikszene Kubas »Buena Vista in the Club« als »politics of the body« bezeichnet.
Die vom Reiseveranstalter avenTOURa und dem Grafikbüro MAGENTA produzierte CD weckt beim ersten Anhören nicht direkt Assoziationen zu Kuba. Die Kombination aus Hip-Hop-Beats, muttersprachlichem Rap und wiederholt eingespielten Samples ist in anderen Teilen der Welt ebenfalls verbreitet. Der besondere Charakter erschließt sich erst bei einer intensiveren Auseinandersetzung, etwa mit dem beigefügten Booklet. Es erzählt von der Motivation der KünstlerInnen und den schwierigen Umständen, unter denen sie Musik machen. Der Staat duldet die Hip-Hop-Szene, »sofern die Texte jedoch zu provokant ausfallen und ein Offizieller vorbeischaut, kann es durchaus vorkommen, dass dieser die Stromzufuhr kappen lässt und die Party abrupt zu Ende ist«, heißt es. Die Tonstudios sind oft nur behelfsmäßig eingerichtet: »Ein anderthalb Quadratmeter großer Raum mit kleinem Sichtfenster zum Mischpult im Wohnraum, ausgekleidet mit Eierkartons, dicken Teppichen und der kubanischen Flagge.«
In ihren Texten beschreiben die jungen KünstlerInnen meist Situationen ihres täglichen Lebens oder thematisieren, was sie auf Kuba vermissen. Der Kopf dieser kreativen Community, Mario MC, sagt von sich: »Ich mache Musik, um jungen Leuten Ratschläge zu geben. Ich möchte einen radikalen Wandel in den Köpfen, die negative Gedanken haben, erreichen.«
»Malecón Buena Vista« ist ein innovativer, weil in dieser Form einzigartiger Sampler. Die musikalische Qualität der US-amerikanischen Vorbilder wie etwa Busta Rhymes bleibt allerdings unerreicht. Manche Songs sind zwar eingängig, drohen aber schnell eintönig zu werden, da ihnen die notwendige Vielschichtigkeit abgeht. Dennoch ist der Sampler eine gelungene Abwechslung vom folkloristischen Gleichklang vieler anderer Produktionen aus Kuba.
von Frederik Skorzinski