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Sie sind hier: Startseite Zeitschrift Ausgaben 328 | Der Krieg gegen Drogen ist gescheitert Pourquoi Israël, Warum Israel

Pourquoi Israël, Warum Israel

Israel/ Frankreich 1973, 195 min, OmU, Regie Claude Lanzmann. Absolut Medien. 2 DVD, 24,90 Euro. Bonus: 43 Min. Podiumsgespräch mit Claude Lanzmann (Franzosisch mit englischen UT). Booklet: 12 Seiten Interview mit Claude Lanzmann (Deutsch).

Darum Israel

Claude Lanzmanns Pourquoi Israël, Warum Israel ist ein außergewöhnlicher Dokumentarfilm. Nicht nur durch seine Dauer von 195 Minuten. Nicht nur durch die vielfältigen Zugänge zu ganz unterschiedlichen Israelis, in denen bei aller Differenz immer die Erinnerung an jahrtausendelange Diskriminierung und an die Shoah mitklingen, an Momente der Trauer und des Aufbruches hin zu einem eigenen Staat für alle Jüdinnen und Juden. Nicht nur, weil es der erste Film des Regisseurs von »Shoah« ist. Sondern weil hier ein französischer, radikal linker Intellektueller, der in der Résistance gegen die Deutschen gekämpft hat und der sich mit Jean Paul Sartre und vielen Anderen gegen den Algerienkrieg engagiert hat, Aufklärung versucht darüber, was Israel ist. Und warum es sein muss.

Lanzmann kommt 1972 aus Frankreich nach Israel und fragt, was Normalität sein kann in einem Staat, der durch die Geschichte seiner BürgerInnen ein Ausnahmestaat ist, ein Zufluchtsort für alle, die als Juden und Jüdinnen verfolgt werden. Ein Staat, der zur Zeit des Filmdrehs erst seit 24 Jahren existierte, in dem vieles noch offen war. Dabei macht Lanzmann transparent, dass er als Jude aus der Diaspora auf Israel schaut: Durch die Art, wie er Fragen stellt, wie er Anteil nimmt an den Problemen von neu eingewanderten Israelis, die aus der Sowjetunion kommend am Flughafen von der Einwanderungsagentur empfangen werden und sich hinein finden müssen in die zugeteilten Wohnorte, die Arbeitssuche, den Alltag.

Am Anfang des Filmes brauchen Deutsche keine Untertitel: Gert Granach singt vom Kampf gegen die Nazis. Er war 1933 aktiv im Kommunistischen Jugendverband Deutschlands. Nun singt er 40 Jahre später zum Akkordeon als Bürger von Jerusalem vom verlorenen Kampf seiner Jugend, und niemand diskriminiert ihn mehr, weil er ein Jude ist. Die Gedenkstätte von Yad Vashem wird gezeigt, im Klagegesang die Namen der Vernichtungslager genannt, die als schlichte Schriftzüge zu sehen sind.

Eine Schulklasse wird gefilmt beim Besuch der Gedenkstätte. Manche Kinder stehen lange vor einer einzelnen Tafel, versuchen zu begreifen: Warum haben sie uns Juden gehasst? Die Kinder sammeln sich nach dem Gedenkstättenbesuch, fangen von sich aus an zu diskutieren. Die Bedeutung des Erinnerns an antisemitische Diskriminierung und die Shoah für die israelische Gesellschaft wird so anschaulich. »Unsere Kinder sollen das Gegenteil von dem erleben, was wir in unserer Kindheit erleben mussten«, erklärt Beno Grünbaum, ein alter Mann, der sich in seinem Kibbuz Gan Schmuel filmen lässt, auf einem Weg, neben dem ein größeres Kind kleineren zeigt, wie ein Purzelbaum geht. Als Kind hatte Grünbaum oft Angst – es gab nicht überall Antisemitismus in Polen, aber oft. Er spricht zurückhaltend, es wird deutlich, wie wichtig ihm das Aufwachsen der Kinder ohne Angst ist.

Aber Israel besteht aus viel mehr als Erinnerung. Lanzmann fragt Menschen aus unterschiedlichen sozialen Klassen und Milieus. So im Hafen von Ashdod den Hafenarbeiter Jacques Barkat, ob es denn keine Streiks gibt. Mehrere junge Kibbuzim zeigt er bei einer Gesprächsrunde, in der sie sich mit dem Widerspruch auseinandersetzen, dass Israel sich nicht zu der sozialistischen, egalitären und freien Gesellschaft entwickelt, als deren Keimzelle sie ihren Kibbuz verstehen.

Ein besonders bemerkenswertes Interview ist Lanzmann mit Angehörigen der israelischen Schwarzen Panther gelungen. Deren Bewegung verstand sich, in Anlehnung an die Black Panther in den USA, als Selbstorganisierung orientalischer Juden. Vor der Kamera schildern sie, dass Sephardim (jüdische EinwandererInnen aus Afrika oder dem Nahen Osten) in Israel diskriminiert werden von den Aschkenasim, den jüdischen EinwandererInnen aus Europa und Amerika. Sie berichten von ihren Demonstrationen, ihrem Protest. So zeigt Lanzmann Israel auch als Klassengesellschaft.

»Warum Israel« ist kein öder Propagandafilm, sondern zeigt die Vielfalt und Widersprüchlichkeit jüdischen Lebens in Israel. Die Aufnahmen der beiden erfahrenen Kameramänner ergänzen sich gut mit dem Vorgehen des Regisseurs, der neugierig und voller Empathie die Fragen eines französischen linken Juden stellt. So ist eine Dokumentation über Israel entstanden, die heute immer noch fesselnd anzuschauen ist. Bei Absolut Medien ist nun eine gelungene Edition des Filmes auf einer Doppel-DVD erschienen.

Gaston Kirsche

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