Kosmoprolet Nr.2
Die globale Krise verstehen
Der Zusammenbruch der Investmentbank »Lehman Brothers« im September 2008 gilt als der Beginn der aktuellen Weltwirtschaftskrise. Die Linke reagiert bis heute auf diese tiefste Krise des Kapitalismus seit 1929 größtenteils überrascht, abwartend und ohne daraus weitere Konsequenzen für ihre Theorie und Praxis zu ziehen. Eine der wenigen Ausnahmen ist Karl Heinz Roth, der im Herbst/ Winter 2008 seine ersten Arbeitsthesen zur Krise zur Diskussion stellte. Aus diesen Debatten ist nun das Buch Die globale Krise entstanden. Der zweite Band, der im Winter 2009/10 erscheinen soll, behandelt dann »Das Multiversum: Globale Proletarisierung – Gegenperspektiven«.
Im ersten Band beschreibt und analysiert Roth die Entwicklung der Weltwirtschaftskrise, die staatlichen Gegenmaßnahmen und die Grenzen des bisherigen Krisenmanagements. Ausgehend von der Theorie des sowjetischen Ökonomen Nikolai D. Kondratiev, der die Entwicklung der kapitalistischen Weltwirtschaft in verschiedene Zyklen unterteilt, die durch eine etwa 40 bis 60-jährige Abfolge von Aufschwung, Boom, Krise, Depression, Erholung und neuerlichen Aufschwung gekennzeichnet sind, untersucht Roth die Charakteristik der »langen Welle« von 1966/67 bis 2006/7, um so die spezifischen Gründe der aktuellen Krise heraus zu filtern. Abgeschlossen wird das Buch durch einen Vergleich mit den bisherigen Weltwirtschaftskrisen des industriellen Kapitalismus, also der Krisen von 1857 bis 1859, von 1873 bis 1896 und 1929 bis 1940.
Dieser Vergleich bringt frappierende Parallelen zur heutigen Situation zum Vorschein, sowohl was den Fortgang der Krisen als auch die staatlichen Gegenmaßnahmen betrifft. So sind etwa »bad banks« bereits in der ersten Weltwirtschaftskrise von 1857 installiert worden und staatliche Garantiefonds retteten schon damals »systemrelevante Unternehmen«. Durch seine Herleitung aus dem gerade zu Ende gegangenen Zyklus schafft es Roth, die Tendenzen sichtbar zu machen, die zur aktuellen Krise führen mussten. Im ersten Teil des Buches gelingt es ihm, die bisher detaillierteste und materialreichste Analyse der Krise vorzulegen.
Doch diese große Stärke erweist sich zugleich als größte Schwäche. Zum einen ist die Lektüre der empirischen Darstellung ermüdend, zum anderen gehen die tieferen Ursachen beinahe unter. Roth erwähnt zwar immer wieder den Zusammenhang von Überproduktion, Unterkonsumtion und fallenden Profitraten. Aber es fehlt eine systematische Darstellung, warum die kapitalistische Warenproduktion, auch ohne Immobilienblase und der Finanzialisierung der vergangenen Jahrzehnte, notwendigerweise auf den Crash zusteuern musste. Deshalb bietet sich als ergänzende Lektüre die jüngste Ausgabe der Zeitschrift »Kosmoprolet« an, in der ein Mitglied der Gruppe »Internationalist Perspective« unter der Überschrift »Eine Krise des Werts« eine Analyse der aktuellen Krise aus den Grundkategorien der kapitalistischen Vergesellschaftung, Ware und Wert, entfaltet. Ausgestattet mit diesen beiden Texten, dürfte es kein Problem sein, den falschen und verkürzten Krisendiagnosen in der öffentlichen Diskussion etwas entgegenzusetzen.
Jens Benicke