"Der weiße mit dem Schwarzbrot", Regie: Jonas Grosch
Rezension: Der Weiße mit dem Schwarzbrot
Was bei den Feiern und Schmähungen von »1968« fast immer ausgeblendet bleibt, obwohl es gerade den Nachgeborenen am phantastischsten anmutet, ist die Zahl der Lebenschancen, mit denen diese glückliche Generation beschenkt wurde. Während heute viele schon ihre Schulbildung danach gestalten, welches Fach die besten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt haben könnte, können die JubilarInnen auf ein grandioses Angebot vielfältiger Neuanfänge zurückblicken. Nach einem schönen Studienleben brachen viele 68er mit großer Geste mit dem System und schlossen sich einer mönchischen K-Gruppe an. Nach ein paar Jahren Aufopferung für die Sache stand ein abermaliger Wechsel an, für den die ehemals verhasste Gesellschaft trotz der Eskapaden reichlich Posten bereithielt. Wer nicht in der Politik landete, hat zumindest einen Lehrstuhl oder einen Job im Kultursektor abbekommen.
Einen besonders gesegneten Fall gewährter Chancen dokumentiert der nun als DVD erhältliche Film Der Weiße mit dem Schwarzbrot. Es ist die Geschichte des Schauspielers, Musikers, Malers, Schriftstellers, Entwicklungspolitikers und früheren RAF-Mitglieds Christof Wackernagel. Der 1951 Geborene erzählt in dem Film von Jonas Grosch, wie er als erfolgreicher junger Schauspieler in den Sog der Politisierung nach 68 geriet und irgendwann vor der Entscheidung stand »Hollywood oder RAF«. Nachdem er sich der bewaffneten Gruppe angeschlossen hatte, wurde er kurze Zeit später verhaftet und zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Nach der Haftentlassung gelang ihm der Wiedereinstieg in die Filmbranche, in der er delikaterweise vor allem durch eine Polizistenrolle in der Serie »Abschnitt 40« reüssierte. Doch bald darauf war für Wackernagel wieder ein Schnitt angesagt: Es zog ihn nach Mali, wo er versuchte, eine Bäckerei für deutsches Vollkornbrot zu etablieren. Darüber hinaus verfolgt er bis heute kulturelle Begegnungsprojekte in Afrika.
Eine beeindruckende Vita also. Noch interessanter wird der Film allerdings, wenn man ihn nicht als Läuterungsbericht eines Terroristen oder als Hommage an den Hans-Dampf Wackernagel betrachtet, sondern als politisches Psychogramm seiner Generation. In seinem Auftreten klingt eine Attitüde des gesellschaftlichen Aktivismus nach, die den politischen Zielen nicht immer gut getan hat und damals wie heute befremdet.
Wackernagel werden von Regisseur Grosch viele Möglichkeiten eingeräumt, seine Analyse der sozialen Ungerechtigkeiten in Afrika zu verkünden. Das ist einerseits erfreulich, weil es zur dezidiert politischen Auseinandersetzung zwingt. Andererseits fällt ins Auge, wie seine Aussagen in Szene gesetzt werden: Wie ein Hohepriester steht der in Weiß gewandete Schauspieler vor einem altargleichen Tisch mit aufgeschlagenem Buch, und immer wenn er über Afrika und den Westen redet, spricht er gerne vor allem auch von sich. Fast in allen seinen Aussagen, die durch ihren Eifer – fast möchte man von Furor sprechen – zu Predigen werden, schwingt eine Selbstüberschätzung mit, die den Zuschauer zwar zunächst einnimmt, zur Hybris aber kaum Distanz halten vermag.
Besonders augenscheinlich wird dies, wenn sich Wackernagel wie ein Rumpelstilzchen über den »Herrn Fischer« echauffiert, dessen Außenministerium sein Projekt einer Kulturkarawane durch Afrika seinerzeit nicht angemessen gefördert hatte. Vielleicht hätte er sich die RAF-Parole, laut der es keinen Sinn hat, den falschen Leuten das Richtige erklären zu wollen, zu Herzen nehmen sollen. Denn so wird aus der aus Staatsraison erfolgten Ablehnung der finanziellen Unterstützung eine persönliche Missachtung des Heilsbringers Wackernagel durch den damaligen Außenminister.
Amüsanterweise sind sich die beiden 68er in ihrer narzisstischen Überhöhung der eigenen Biographie gar nicht so fremd. So erinnert Wackernagels Argumentationsstruktur, gerade er wisse durch seine Vergangenheit, dass man Frieden nicht mit Waffen, sondern mit Kultur schaffen könne, an die infame Kriegsrechtfertigung Joschka Fischers. Der hatte die Bomben auf Belgrad 1999 damit gerechtfertig, gerade Deutschland als geläuterte Täternation sei sich bewusst, dass man im Kosovo ein neues Auschwitz verhindern müsse.
»Der Weiße mit dem Schwarzbrot« erscheint auch sonst eher wie der Weise im Kampf mit den schwarzen Mächten. An den Zwang zur moralischen Reinheit erinnert symbolhaft das Palästinensertuch, mit dem Wackernagel durch die Straßen Bamakos wandelt. Dieses Relikt des antiimperialistischen Kampfes verweist auf die tragische Tradition der Linken in Deutschland, sich kritiklos mit diversen »Befreiungsbewegungen« in der Dritten Welt zu identifizieren. Auch die RAF war nicht zuletzt der Versuch gewesen, sich als Stadtguerilla in eine Front revolutionärer Kämpfe im Ausland hinein zu halluzinieren. Eine abgemilderte Form dieser Flucht ins Ausland scheint auch die Antriebskraft von Wackernagels Aktivismus in Mali zu sein, so sehr er sich auch von der deutschen Presse dorthin »vertrieben« fühlt.
Neben dem aufschlussreichen Porträt des Schauspielers bietet der Film gelungene Szenen afrikanischen Lebens. Besonders die Auftritte des Sängers Mamadou Coulibaly, mit dem Wackernagel musiziert, hätten eigentlich einen eigenen Film verdient. Durch seine Lieder bekommt man einen Eindruck von einer afrikanischen Kultur, die sich nicht nur mit materiellem Elend herumschlägt, sondern vor allem Sinnsuche und Entfremdungskritik betreibt.
Dieses selbstgenügsame und kunstvolle Meditieren wird im Film aber schnell wieder gebrochen: So sieht man in einer Szene die Erprobung eines von Wackernagel entworfenen Spiels, in dem zwei Mannschaften aus Straßenkindern darum kämpfen, welche Gruppe in einer bestimmten Zeit mehr Müll von der Straße aufgesammelt hat. Mag diese Idee auch noch so findig sein, mit ihr wird das Spiel der Kinder, die ohnehin nur ein halbes Leben haben, instrumentalisiert und zweckdienlich gemacht. Den deutschen Erfinder wird es freuen, dass ein malischer Politiker dem Ideenreichtum Wackernagels höchste Anerkennung zollt und sich eifrig für die neue Art der Straßenreinigung bedankt. Es scheint, als sei der Aktivist Wackernagel in seinem vierten Leben endlich angekommen.
Tilman Vogt