Stichproben
Deutsche Safari
Der Serengeti-Park Hodenhagen preist in der Rubrik "Kids & Familie" eine Dschungel-Safari-Tour mit Spezialeffekten wie "naturgetreuen Löwen- und Nashornangriffen" und dem "aufregenden Überfall eines afrikanischen Eingeborenenstammes" an. Solcherart stereotypen Vorstellungen von Afrika widmet sich die gerade erschienene Nr. 10/2006 der Stichproben. Wiener Zeitschrift für kritische Afrikastudien - 'Afrika hierzulande. Eine Bilder-, Text- und Beziehungsgeschichte. Die AutorInnen machen sich darin auf eine breit gefächerte kulturgeschichtliche Spurensuche des deutschen Kolonialismus und seiner fortgesetzten, wenn auch gewandelten Relevanz.
Den Anfang macht Imke Jungermann in ihrer Analyse der Ausstellungspraxis des 1896 gegründeten Bremer Überseemuseums - bis Ende der 1950er Jahre auch schlicht und treffend als "Kolonialmuseum" bezeichnet. Felix Schürmann stellt die kulturpolitische Geschichte der diversen kolonialen Straßennamen Hannovers vor. An die Phase unmittelbarer kolonialer Repräsentation schlossen sich Kolonialrevisionismus und koloniale Nostalgie an. Heute sei die koloniale Kodierung anders als früher in breiten Bevölkerungsteilen jedoch kaum noch präsent.
Ronald Pokoyski wertet die Debatte um das letztjährige "African Village" im Augsburger Zoo aus, während Phillip Claussen die scharfe Kontroverse um die Ausstellung "'Besondere Kennzeichen: Neger' - Schwarze im NS-Staat" nachzeichnet und einordnet. Mark Holthoff untersucht die Darstellung Südafrikas in deutschen Reisekatalogen und findet auch dort vorwiegend alte Mechanismen der Konstruktion: Naturalisierung, Tribalisierung, Geschichtslosigkeit und unreflektiertes europäisches Kulturerbe. ‚Afrika als Dorf' findet auch Nadja Thoma in österreichischen Musikschulbüchern, denn der Kontinent wird weitgehend auf Sklavenmusik und Trommeln reduziert, die vermeintliche "Naturmusik" der europäischen "Kunstmusik" gegenüber gestellt.
Die Herausgeberin der Ausgabe, Brigitte Reinwald, will die Erkenntnis befördern, dass Deutschland eine postkoloniale Gesellschaft sei. Dieser Anspruch wird einleuchtend umgesetzt. Den Artikeln ist gemein, dass sie die Frage nach (post-)kolonialen Denk- und Darstellungsweisen an konkreten Beispielen untersuchen und so die postcolonial studies gehaltvoll unterfüttern.
Heiko Wegmann